Halbzeit!
Schon ein halbes Jahr lebe ich jetzt in Quito! Für mich klingt das nach einer absurd langen Zeit, weil die letzten Monate so schnell verflogen sind, aber wenn ich darüber nachdenke, was ich bis jetzt schon in Ecuador erlebt habe, ist das eine ganze Menge.
Der Dezember begann mit den „fiestas de Quito“ („Feste Quitos“), an denen der Gründungstag Quitos, der 6. Dezember, gefeiert wird. In der ganzen Stadt gab es auch an den Tagen um den 6.12. Konzerte, Märkte und natürlich viele „fiestas“, an denen traditionell „canelazo“ (ein heißes, alkoholisches Getränk aus Zimt, Nelken, Fruchtsaft und einer Art Zuckerrohrschnaps), das mich etwas an Glühwein erinnert hat, getrunken und viel getanzt wurde. Die ausgelassene und wirklich überall verbreitete Feierstimmung an den Tagen fand ich sehr beeindruckend und mitreißend und ich habe mich wieder Mal in diese riesige, bunte Stadt verliebt.
Ungefähr zwei Wochen nach den fiestas de Quito gab es für mich wieder einen Grund zur Freude, denn ich bin zu meiner Familie nach Bolivien geflogen, um dort gemeinsam Weihnachten und Neujahr zu feiern. Meine Mutter ist Bolivianerin und so lebt meine gesamte Familie mütterlicherseits dort. Nach den ersten Monaten in Ecuador habe ich mich sehr gefreut, mal wieder Zeit mit Menschen zu verbringen, die mir sehr vertraut sind und sich richtig nach Zuhause anfühlen. Ich habe die freie Zeit sehr genossen, vor allem, weil meine Cousins und Cousinen in dem Zeitraum auch Schul-und Unifrei hatten und wir so die ganze Zeit zusammen Sachen unternehmen konnten. Zwar war der Abschied dementsprechend traurig, aber als ich dann am Flughafen von meiner Gastschwester und meinem Gastonkel sehr herzlich und freudig in Empfang genommen wurde und ich auf der Autofahrt nach Hause wieder die vertraute Umgebung der Viertel im Süden Quitos gesehen habe, habe ich gemerkt, dass hier gerade doch mein Platz ist und ich mich sehr wohl hier fühle. Auch als ich später am Tag den Rest der Familie wieder begrüßt habe war es sehr schön zu spüren, wie sich alle gefreut haben, dass ich wieder da war und das hat den Abschiedsschmerz von Bolivien wieder etwas gelindert.

Ungefähr nach einem Monat wieder Alltag in Quito bin ich für eine Woche zu meinem Zwischenseminar nach Puyo, einer kleinen Stadt am Rand des Regenwaldgebiets, gefahren, denn tatsächlich war schon die Hälfte meines Freiwilligendienstes vergangen. Für mich war es sehr besonders nach fast sechs Monaten mal wieder so viel Zeit mit anderen deutschen Jugendlichen zu verbringen, da ich bis zu dem Zeitpunkt fast ausschließlich mit Ecuadorianer*innen Dinge unternommen habe. Wir hatten natürlich alle viele gemeinsame Themen, Sorgen und Erfahrungen, sodass wir viel Raum bekamen, uns darüber auszutauschen: über unsere Rolle als Freiwillige in den Projekten, über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ecuador/Kolumbien und Deutschland, unseren bisherigen Weg in Ecuador/Kolumbien und die Zeit, die uns noch bleibt. Aber auch über unsere Rückkehr nach Deutschland und das neue Einleben dort haben wir uns Gedanken gemacht. Das Seminar wurde geleitet von einer ehemaligen deutschen Freiwilligen und einem ehemaligen ecuadorianischen Freiwilligen, der ein Jahr lang in Deutschland war. Beide konnten uns also in Vielem nachvollziehen und waren eine gute Unterstützung und Begleitung. Zum Glück blieb aber neben vielen thematischen Einheiten auch Zeit für einen Tagesausflug in den Regenwald! Gemeinsam haben wir erst eine Kichwa-Gemeinde (eine indigene Volksgruppe) besucht, haben bei einer sehr lieben Familie gelernt, wie man aus der Kakaofrucht Schokolade herstellt und sind später zu einem spektakulären Aussichtspunkt gefahren mit einem super Blick auf den Fluss Puyo. Am Ende sind wir noch ein Stück durch den Regenwald gewandert, um schließlich unter einem Wasserfall zu baden. Die Stimmung war den ganzen Tag über super und wir haben uns als Gruppe sehr gut verstanden.



Noch ein Highlight war ein gemeinsamer Kochabend mit viel guter Musik, an dem wir leckeres und ersehntes deutsches (und vegetarisches!) Essen gekocht haben: Bratkartoffeln, Rotkohl und Pilzrahmsoße und zum Nachtisch, zwar weniger deutsch aber nicht weniger lecker, Kaiserschmarren mit Apfelmus.

Den Abschluss hat am letzten Tag der Besuch des „festival de la juventud amazónica“ (Festival der Jugend des Amazonasgebiets) gebildet, bei dem vor allem viel getanzt und gesungen wurde und wir viele Jugendliche des ecuadorianischen Amazonasgebiets kennengelernt haben. Am Abend waren wir als Seminargruppe noch zusammen tanzen, bevor wir uns am nächsten Tag wieder voneinander verabschieden mussten und zurück zu unseren neuen Heimatorten in alle Ecken Ecuadors/Kolumbiens gereist sind.
Inzwischen ist das Seminar auch schon über einen Monat her und wie ihr euch sicher vorstellen könnt, gibt es auch von den letzten Wochen wieder einiges zu erzählen. Das würde jetzt aber den Rahmen sprengen, also berichte ich davon dann in einem nächsten Blog. Bleibt gespannt!
Und für alle, die sich gefragt haben, wie es den Jugendlichen in meinem Projekt geht, hier ein Bild, auf dem ihr seht, wie wir zusammen Pizza backen. Sowohl den „jóvenes“ als auch mir geht es im Zentrum nach wie vor sehr gut und ich habe das Gefühl, dass sie mir jeden Tag mehr ans Herz wachsen.

Bis zum nächsten Mal herzliche saludos de la mitad del mundo!
Neue Abenteuer und ein Gefühl von Heimat
Seit meinem letzten Blogbeitrag ist schon über einen Monat vergangen und ich habe viel erlebt. Inzwischen habe ich im Zentrum für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung (auf spanisch kurz: CDJCDI für „Centro de jóvenes con discapacidad intelectual“) gut meinen Platz gefunden und kann auch sehr selbstständig mitarbeiten, sodass mir die Arbeit mit den Jugendlichen umso mehr Spaß macht. Einmal die Woche leite ich einen eigenen Kunst-Workshop, bei dem wir verschiedenste Dinge basteln und malen. Währenddessen hören wir immer Musik, bei der die Jungs und Mädchen lauthals mitsingen und sich manchmal vor lauter Drang mittanzen zu wollen, kaum auf den Stühlen halten können. Dadurch, dass die Jugendlichen und ich während dieser Einheit unter uns sind, habe ich das Gefühl, dass sie sich fallen lassen können und es entsteht eine sehr entspannte, familiäre Stimmung, was mich total freut. Ich werde öfter gefragt: „¿Sophi, cuando nos toca otra vez el taller contigo?“ („Sophi (so werde ich hier liebevoll von allen genannt), wann ist wieder dein Workshop dran?“). Dieser Satz ist sehr repräsentativ für die Art der Jugendlichen: herzlich, aufmerksam und immer am Fragen stellen. Oft werde ich zum Beispiel auch nach meiner Familie in Deutschland gefragt, obwohl niemand dort meine Familie bisher kennengelernt hat, aber die Jugendlichen wissen inzwischen alle sehr gut, dass ich im Moment weit weg von meiner Familie lebe und meine Mama und meinen Papa bestimmt vermisse. So wurde ich vor einigen Tagen fürsorglich gefragt: „¿Oye Sophi, cómo está ese corazoncito?“ („Wie geht es deinem Herzchen?“, womit mein Wohlbefinden gemeint war). Und tatsächlich geht es meinem Herzchen sehr gut, denn abgesehen von den alltäglichen Aktivitäten im Zentrum haben uns auch die letzten Wochen seit meinem letzten Beitrag Highlights begleitet, so zum Beispiel das Zubereiten der „Colada morada“, einem dickflüssigen, süßen und warmen Getränk, dass in Ecuador traditionell zu Allerheiligen getrunken wird. Schon einige Wochen vor dem Feiertag war die Vorfreude über die „Colada morada“, die es nur einmal im Jahr gibt, nicht nur in meinem Projekt sondern auch in meiner Gastfamilie, groß. Zurecht, wie ich feststellte, als wir gemeinsam mit den Jugendlichen aus Ananas, Waldfrüchten und vielen Gewürzen das Getränk zubereiteten. Es war zwar sehr aufwändig, aber gelohnt hat sich die Mühe auf jeden Fall!

Dass es mir so gut geht liegt aber auch daran, dass ich inzwischen auch in meiner Gastfamilie richtig angekommen bin. Wie schon in meinem ersten Blogbeitrag erwähnt, verbringen wir viel Zeit mit der Familie meiner Gastmutter. Am 4. November habe ich mich ganz besonders gefreut, denn meine Gastfamilie hat für mich eine Geburtstagsfeier veranstaltet, und dass obwohl ich schon am 4. August noch in Deutschland Geburtstag hatte. Da aber niemand der Familie im November Geburtstag hat, alle aber Lust auf eine Geburtstagsfeier hatten und ich auch meinen nächsten Geburtstag nicht in Ecuador verbringen werde, wurde kurzerhand der Entschluss gefasst, das wir am 4.11. meinen 19.3 Geburtstag feiern würden. Es wurden Tanten, Cousins und Cousinen zu einem Picknick in einem Park eingeladen, es gab eine Piñata, Geschenke und einen Geburtstagskuchen und viele liebe Geburtstagswünsche anlässlich meiner 19 Jahre und drei Monate. Alle haben sich so viel Mühe gegeben, sodass es sich tatsächlich wie ein richtiger Geburtstag angefühlt hat, und das zum zweiten Mal in diesem Jahr! Das war auf jeden Fall ein sehr besonderer Tag für mich und ich fühlte mich richtig Teil der Familie. Innerhalb der letzten zwei Monate hat sich vor allem dank meiner herzlichen Gastfamilie hier in Quito für mich ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit aufgebaut, was meine Erfahrung natürlich umso schöner macht.

Von einem letzten Höhepunkt der vergangenen Zeit möchte ich in diesem Blogbeitrag noch erzählen: Ende Oktober bin ich mit meinem Gastonkel und Freunden der Familie nach Baños gefahren, einer kleinen Stadt einige Kilometer südlich von Quito, die vor allem für ihre tolle Vegetation und viele Outdoor-Aktivitäten bekannt ist. Sie liegt nämlich in einem Bergtalkessel der von Regenwald bewachsenen Anden, sodass das Klima angenehm warm ist und man von überall eine tolle Sicht auf hohe Berge hat. Dort haben wir gemeinsam ein Wochenende verbracht, haben Aussichtspunkte und Wasserfälle besichtigt, Seilbahnfahrten gemacht und sind durch die schöne, gemütliche Innenstadt gebummelt. Besonders beeindruckt haben mich die Thermalbäder, deren Wasser rund 42 Grad warm ist, da es aus dem nahegelegenen Vulkan Tungurahua abgeleitet wird und so natürlich erhitzt ist. Um sich nach dieser Wärme wieder abzukühlen, kann man sich unter einen eiskalten Wasserfall stellen, der sich direkt neben dem Schwimmbecken befindet. Der Effekt ist sehr Sauna-ähnlich und somit gesund und entspannend.


Trotz vieler Tourist*innen haben mich das Städtchen und vor allem die umliegende Landschaft total begeistert, sodass unser Wochenend-Ausflug eine sehr schöne Abwechslung zu meinem Alltag in Quito war.
Ich freue mich schon, euch bald im nächsten Blogbeitrag von meinen neuen Abenteuern zu erzählen!
Bis dahin,
saludos de la mitad del mundo!
Jetzt geht‘s los! Mein erster Monat in Quito
Vor einem Monat bin ich nach vielen Tagen der Aufregung und Vorfreude und einem Flug quer über den Atlantik endlich hier in Quito gelandet.
Am Flughafen hat mich meine Gastfamilie herzlichst mit Blumen, Luftballons und einem Willkommens-Schild begrüßt und dann ging es los in mein neues Zuhause, in den Süden dieser riesigen Hauptstadt. Schon auf der Autofahrt vom Flughafen zum Haus meiner Gastfamilie wurde mir viel über Quito erklärt und ich konnte die Aussicht genießen: Wohin ich auch schaute, überall waren grün bewachsene Anden! Und auch sonst war mein erster Eindruck der Stadt, dass es unglaublich viele Parks, hohe Eukalyptusbäume und Pflanzen gibt, und das bei der hohen Bevölkerungsdichte der Millionenstadt. Grund dafür ist der fast tägliche und starke, aber kurze Regen, der typisch für die Äquator-Region ist.

Direkt am nächsten Tag durfte ich das Projekt „Centro de jóvenes con capacidades diferentes“ (wörtlich:„Zentrum für Jugendliche mit besonderen Fähigkeiten“, ein Zentrum für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung) der Organisation „Fundación Tierra Nueva“ und somit meine neue Arbeitsstelle kennenlernen. Die 30 Jugendlichen des Projekts haben mich sofort mit viel Offenheit und Neugier in Empfang genommen und obwohl ich mich die ersten Tage erst einmal mit meinen neuen Aufgaben vertraut machen musste, hat diese Herzlichkeit mir den Anfang deutlich erleichtert. Inzwischen habe ich das Gefühl, zu allen eine persönliche und freundschaftliche Beziehung aufgebaut zu haben, was vor allem an der Unbefangenheit der Jungs und Mädchen liegt.
Mein Alltag in meiner Einsatzstelle besteht bis jetzt vor allem aus der Mitgestaltung verschiedener Workshops, in denen die praktischen und motorischen Fähigkeiten der Jugendlichen trainiert werden. So zum Beispiel schreinern, sticken, basteln und Computerkurse, aber auch Karaoke singen, Fußball spielen und einen Garten mit Gemüsebeet pflegen stehen auf dem Programm und sorgen immer für eine ausgelassene und entspannte Stimmung im Zentrum.
Eine besonders beliebte Einheit ist die „Musiktherapie“, ein Angebot, an dem sowohl unser Zentrum als auch das benachbarte Senior*innenzentrum teilnehmen. Ungefähr zwei Stunden werden hier alte, ecuadorianische Balladen gesungen und zu Cumbia-Musik und Reggaetón getanzt. Die Stimmung ist jedes Mal super und die gute Laune total ansteckend.
Am Ende des Monats stand ein weiteres Highlight bevor: Alle Geburtstagskinder des Septembers wurden mit einer nachträglichen Geburtstagsfeier im Zentrum gefeiert. Es gab Kuchen, viele Geburtstagswünsche und „Que vivan los cumpleañeros!“- Rufe („Hoch leben die Geburtstagskinder!“) und natürlich wurde wieder viel getanzt.


Meine Gastfamilie, bestehend aus einem jungen Ehepaar und ihrer (noch) vierjährigen Tochter, ist sehr aufmerksam und herzlich. Gemeinsam besuchen wir oft Familienmitglieder oder werden besucht und vor allem bei der Mutter meiner Gastmutter, Oma Celia, sind wir häufig, zum Beispiel zum sonntäglichen Mittagessen. Richtig Glück habe ich mit dem jüngeren Bruder meiner Gastmutter, der ist nämlich nur ein paar Jahre älter als ich. Gemeinsam haben wir beispielsweise zusammen mit zwei seiner Freunde das historische Zentrum Quitos besucht. Von dort hat man eine tolle Sicht auf den Hausberg „Panecillo“, der die Stadt in Norden und Süden teilt. Wie schon erwähnt, wohne ich sehr südlich und war beeindruckt von den großen Unterschieden, die es zwischen dem Norden, dem Zentrum und dem Süden der Stadt gibt.

Außerhalb von Quito habe ich zusammen mit meiner Gastfamilie Otavalo (eine Stadt im Norden Ecuadors), Cayambe (eine Stadt bekannt für ihren leckeren Zwieback) und den Kratersee „Cuicocha“ besucht. In Otavalo gibt es einen riesigen Markt mit Handwerksarbeiten aus Stoff der indigenen Bevölkerung, eine kleine Kirche und eine Plaza, einen für lateinamerikanische Städte typischer Platz im Zentrum der Stadt. Von dort aus haben wir auf dem Rückweg auch den Cuicocha-See kennengelernt, der am Fuße des Vulkans Cotocachi liegt und im Zuge einer Eruption eines Vulkans entstand, sodass das Wasser durch Mineralien des Vulkans sehr klar und blau ist. Für die indigene Bevölkerung ist dieser See sogar heilig und so nehmen indigene Kichwa-Schamanen dort regelmäßig ein rituelles Reinigungsbad. Das haben ich und viele andere Tourist*innen auf einer Bootsfahrt auf dem See gelernt, was sehr interessant war! Unser letzter Stopp dieses Ausflugs war dann Cayambe, wo wir für viele Onkels, Tanten und uns die berühmt berüchtigten Zwiebäcke gekauft und probiert haben, die wirklich sehr lecker waren.

Wie ihr merkt, geht es mir hier in Quito super und der erste Monat war voll von neuen Menschen, Eindrücken und Orten. Ich freue mich schon sehr auf alles, was noch kommt. Bis dahin: Saludos de la mitad del mundo! (Grüße von der Mitte der Welt)