¡Somos Perú!

Seit nun genau neununddreißig Tagen bin ich hier in Cajamarca, in Perú. Etwa 10.496 Kilometer von meiner kleinen Heimatstadt Bodenwerder entfernt, rund vierundzwanzig Flugstunden, sechs Zeitzonen. In diesem einen Monat habe ich schon vieles erlebt – Erstaunliches, Emotionales und Einzigartiges. Aber von vorn.

Am 11. August ging meine Reise in diese unbekannte Welt los, mit gemischten Gefühlen habe ich mich in die Bahn gesetzt. Meine Familie hat mich verabschiedet, ich bin nach Frankfurt zum Flughafen. Mein Patenonkel ist extra aus Köln gekommen, um mich bis zum Flieger zu bringen. Und nun saß ich um zehn Uhr abends im großen Doppeldecker auf dem Weg nach São Paulo, dann nach Lima, bis nach Cajamarca. Einen Tag vorher war in meiner kleinen Stadt noch großes Feuerwerk, ein rundum gelungener Abschied. Was wird mich wohl erwarten? In wenigen Stunden werde ich es wissen und Deutschland für einige Zeit ein auf Wiedersehen hinterlassen.

Morgens um vier war ich dann in Brasilien, um acht in Lima. Da habe ich mir erstmal einen Kaffee besorgt, bei dieser bekannten Marke die stets den Namen des Bestellers auf den Becher schreibt. Mit meiner Bestellung wurde aus Michel der peruanische Miguel. Seither mein neuer Name, das ch war für die Südamerikaner doch ab und zu ein wenig herausfordernd. Nach ein paar kleinen Reiseverzögerungen kam ich dann endlich in Cajamarca an. Einer auf 2.750 Meter hohen, in den peruanischen Anden liegenden Stadt. Dieser Ausblick, dieser kleine Flughafen, der Sonnenaufgang aus dem Flugzeugfenster. Herrlich. Vor der Flughafentür warteten schon meine Gastschwester und mein Mentor auf mich, Flor und Kevin, mit einem großen Schild “Bienvenidos Michel!”. Gleich haben wir uns in die Arme geschlossen, ich habe mich sehr willkommen gefühlt. ¡Hola Perú!

Weiter ging es mit dem Auto in mein neues Zuhause, weiter hinaus an den Rand der Stadt. In einer ruhigen Straße gelegen stand das Haus, gebaut aus Ziegelsteinen auf mehreren Etagen mit Wellblechdach, so wie die meisten Häuser hier. Meine Gastfamilie hat mich herzlich willkommen geheißen. Und hier erreichte mich nach wenigen Stunden eine Art Kulturschock, der wie ein Schlag in mein Gewissen traf. In weniger als zwei Tagen hatte ich meine Lebensrealität gewechselt. Ich war nun in einer ziemlich anderen Welt. Fünfzehn bis zwanzig Grad Temperaturunterschied am Tag, akute Wasserknappheit in der ganzen Stadt und noch dazu mein semi-gutes Spanisch. Die ersten beiden Wochen ging es mir nicht gut, das möchte ich zugeben. Sehnsucht nach meiner Heimat überkam mich ab und zu. Manchmal auch das Gefühl der Ausländer zu sein, der Westler, der Gringo in einem fremden Land. Jemand, der einerseits so vieles hat, dem es andererseits aber auch an so viel Kenntnis mangelt. Eines meine ich mittlerweile schon behaupten zu können: Unabhängig von dem was man meint schon auf Reisen erlebt oder gesehen zu haben, die Erfahrung einer anderen Kultur und Lebensrealität lässt sich nur vollends verspüren, wenn man auch wirklich in sie eintaucht.

Nachdem meine ersten Reisetage zu Wort gekommen sind, ist jetzt aber auch Zeit für die Schönheit dieses Landes. Die tollen Momente, denn davon gab es viele. Der Familienbesuch am Sonntag auf dem großen „Mercado Central“, auf dem sich Berge frischer und exotischer Früchte aneinander reihen. Das Mototorito-Fahren, ein dreirädriges Kabinengefährt in unterschiedlichsten Farben, mit denen man an jede Ecke dieser Stadt kommt. Die vielen Tänze in den Straßen, die einen das lebensfrohe Sein der Peruaner spüren lassen.

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Und gerade noch wollte ich von so vielen weiteren schönen Dingen schreiben, als mir plötzlich ein Motofahrer das Handy aus der Hand zog. Zack, weg. Merke für die Zukunft: Keine Blogartikel auf offener Straße schreiben. Nachdem mein Telefon weg war, begann eine kleine Krimireise: Mit Polizei verdeckt auf dem Markt nach meinem Handy schnüffeln, Überwachungskameras auskundschaften, undercover in die Untergrundszene eintauchen. Noch geht die Suche weiter, wahrscheinlich stehen die Einzelteile meines Handys aber schon landesweit in den diversen kleinen Lädchen zum Verkauf. Nicht immer läuft alles glatt und nach Plan. Auch so lernt man Unerwartetes und Flexibilität.

Zurück zu den schönen Dingen. Den Ausflügen und Erlebnissen in meinen ersten Wochen. Ein kleiner Überblick mit Bildstrecken.

Baños del Inca
Ein schöner Ort im gleichnamigen Distrikt von Cajamarca. Vor Hitze dampfende Schwefelquellen reihen sich aneinander, darüber liegend der Blick auf die angrenzenden Berge und in den warmblauen Himmel. Vor allem die in Kakteen eingeritzten Namen haben es mir an diesem Ort angetan.

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Hacienda La Colpa
Ein Gutshof, ein paar Kilometer weiter raus aus dem Zentrum. Riesige Kakteen, eine 26-Meter hohe Lehmkapelle und eine mit Brücken überzogene Lagune. Ganz besonders ist auf dieser Hazienda aber die wunderschöne Architektur, farbenfroh und sommerlich, gleichzeitig bescheiden.

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Santa Apolonia
Der höchste Aussichtspunkt in Cajamarca, mit einem einmaligen Blick über die Stadt. Ganz oben steht der in Stein gehauene Inka-Stuhl, der in früheren Jahren zum Überwachen der Herrschaftsgebiete diente. Unübertroffen ist aber der Besuch bei Nacht, wo Wasser aus leuchtenden Quellen sprudelt und die Lichter der Stadt zu bestaunen sind.

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Día del Niño & mi bienvenida
Neben den Touristenattraktionen fand Mitte August dann noch der „Día del Niño“ statt (Tag des Kindes), an dem kleine wie große Menschen von MICANTO tanzten und Spaß hatten. Ein Drachenfliegerwettbewerb, viele kleine Spiele, eine Gruppe tanzender Animateure und meine Begrüßung. Ein sehr süßer Moment: Nachdem ich als neuer Freiwilliger vorgestellt wurde, rannten alle Kinder gleichzeitig aus allen Himmelsrichtungen auf mich zu und umarmten mich. Das war eine sehr sehr große Umarmung. Und lustig war es.

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Jetzt aber zu dem, was ich hier eigentlich tue. Ich unterstütze als Teil des Koordinationsteams bei MICANTO (Movimiento Cristiano de Adolescentes y Niños trabajadores), zu Deutsch „Christliche Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher“. Tagtäglich bin ich in verschiedenen Programmen unterwegs: Mal helfe ich bei Englischaufgaben, mal bei Matheübungen, mal verzieren wir Stifte mit Feder und Garn.

Seit ein paar Wochen habe ich einen eigenen Workshop für Fotografie, gestalte an Internetseite und Newsletter mit, spiele oft auch einfach Volleyball mit den Kids. Ein stets buntes Programm von A bis Z, und immer mit tollen und netten Leuten um mich herum. Und wenn es doch mal langweilig ist, lausche ich den cajamarquinischen Klängen der Straße.

Gleichzeitig ist dieses FIJ aber auch von konträren Einblicken geprägt. Einblicken in starke Armut, den Mangel an alltäglichen Dingen und dringende Überlebensnot. Was Armut wirklich bedeutet, versteht man als Westler erst, so glaube ich, wenn man wirklich in ihre Realität hineinblickt und einen Teil von ihr zu spüren bekommt. Bilder und Berichte zu sehen reicht dafür nicht aus. Doch auch unter Armut sind die Menschen hier glücklich und erfreuen sich an jedem neuen Tag. An den kleinen Gesten, am Leben in dieser Stadt. Weit hinaus über dem Meeresspiegel, hoch in den peruanischen Anden.

Mit diesen Worten trinke ich nun meinen Kaffee zu Ende, blicke aus dem dritten Stock über die Berge von Cajamarca. Zu Musik von Kala Marka. Ein kleiner gelber Schmetterling ist gerade durch meine Sicht geflogen, der erste den ich seither hier gesehen habe. Bis zur nächsten Geschichte.

Alle Freiwilligen bei MICANTO. Jetzt gehöre ich auch dazu!