Neue Abenteuer und ein Gefühl von Heimat

Seit meinem letzten Blogbeitrag ist schon über einen Monat vergangen und ich habe viel erlebt. Inzwischen habe ich im Zentrum für Jugendliche mit einer geistigen Behinderung (auf spanisch kurz: CDJCDI für „Centro de jóvenes con discapacidad intelectual“) gut meinen Platz gefunden und kann auch sehr selbstständig mitarbeiten, sodass mir die Arbeit mit den Jugendlichen umso mehr Spaß macht. Einmal die Woche leite ich einen eigenen Kunst-Workshop, bei dem wir verschiedenste Dinge basteln und malen. Währenddessen hören wir immer Musik, bei der die Jungs und Mädchen lauthals mitsingen und sich manchmal vor lauter Drang mittanzen zu wollen, kaum auf den Stühlen halten können. Dadurch, dass die Jugendlichen und ich während dieser Einheit unter uns sind, habe ich das Gefühl, dass sie sich fallen lassen können und es entsteht eine sehr entspannte, familiäre Stimmung, was mich total freut. Ich werde öfter gefragt: „¿Sophi, cuando nos toca otra vez el taller contigo?“ („Sophi (so werde ich hier liebevoll von allen genannt), wann ist wieder dein Workshop dran?“). Dieser Satz ist sehr repräsentativ für die Art der Jugendlichen: herzlich, aufmerksam und immer am Fragen stellen. Oft werde ich zum Beispiel auch nach meiner Familie in Deutschland gefragt, obwohl niemand dort meine Familie bisher kennengelernt hat, aber die Jugendlichen wissen inzwischen alle sehr gut, dass ich im Moment weit weg von meiner Familie lebe und meine Mama und meinen Papa bestimmt vermisse. So wurde ich vor einigen Tagen fürsorglich gefragt: „¿Oye Sophi, cómo está ese corazoncito?“ („Wie geht es deinem Herzchen?“, womit mein Wohlbefinden gemeint war). Und tatsächlich geht es meinem Herzchen sehr gut, denn abgesehen von den alltäglichen Aktivitäten im Zentrum haben uns auch die letzten Wochen seit meinem letzten Beitrag Highlights begleitet, so zum Beispiel das Zubereiten der „Colada morada“, einem dickflüssigen, süßen und warmen Getränk, dass in Ecuador traditionell zu Allerheiligen getrunken wird. Schon einige Wochen vor dem Feiertag war die Vorfreude über die „Colada morada“, die es nur einmal im Jahr gibt, nicht nur in meinem Projekt sondern auch in meiner Gastfamilie, groß. Zurecht, wie ich feststellte, als wir gemeinsam mit den Jugendlichen aus Ananas, Waldfrüchten und vielen Gewürzen das Getränk zubereiteten. Es war zwar sehr aufwändig, aber gelohnt hat sich die Mühe auf jeden Fall!

Jugendliche im Zentrum am Zutaten Vorbereiten für die Colada morada

 

Dass es mir so gut geht liegt aber auch daran, dass ich inzwischen auch in meiner Gastfamilie richtig angekommen bin. Wie schon in meinem ersten Blogbeitrag erwähnt, verbringen wir viel Zeit mit der Familie meiner Gastmutter. Am 4. November habe ich mich ganz besonders gefreut, denn meine Gastfamilie hat für mich eine Geburtstagsfeier veranstaltet, und dass obwohl ich schon am 4. August noch in Deutschland Geburtstag hatte. Da aber niemand der Familie im November Geburtstag hat, alle aber Lust auf eine Geburtstagsfeier hatten und ich auch meinen nächsten Geburtstag nicht in Ecuador verbringen werde, wurde kurzerhand der Entschluss gefasst, das wir am 4.11. meinen 19.3 Geburtstag feiern würden. Es wurden Tanten, Cousins und Cousinen zu einem Picknick in einem Park eingeladen, es gab eine Piñata, Geschenke und einen Geburtstagskuchen und viele liebe Geburtstagswünsche anlässlich meiner 19 Jahre und drei Monate. Alle haben sich so viel Mühe gegeben, sodass es sich tatsächlich wie ein richtiger Geburtstag angefühlt hat, und das zum zweiten Mal in diesem Jahr! Das war auf jeden Fall ein sehr besonderer Tag für mich und ich fühlte mich richtig Teil der Familie. Innerhalb der letzten zwei Monate hat sich vor allem dank meiner herzlichen Gastfamilie hier in Quito für mich ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit aufgebaut, was meine Erfahrung natürlich umso schöner macht.

Geburtstagsgäste und ich bei meiner 19.3-Feier

Von einem letzten Höhepunkt der vergangenen Zeit möchte ich in diesem Blogbeitrag noch erzählen: Ende Oktober bin ich mit meinem Gastonkel und Freunden der Familie nach Baños gefahren, einer kleinen Stadt einige Kilometer südlich von Quito, die vor allem für ihre tolle Vegetation und viele Outdoor-Aktivitäten bekannt ist. Sie liegt nämlich in einem Bergtalkessel der von Regenwald bewachsenen Anden, sodass das Klima angenehm warm ist und man von überall eine tolle Sicht auf hohe Berge hat. Dort haben wir gemeinsam ein Wochenende verbracht, haben Aussichtspunkte und Wasserfälle besichtigt, Seilbahnfahrten gemacht und sind durch die schöne, gemütliche Innenstadt gebummelt. Besonders beeindruckt haben mich die Thermalbäder, deren Wasser rund 42 Grad warm ist, da es aus dem nahegelegenen Vulkan Tungurahua abgeleitet wird und so natürlich erhitzt ist. Um sich nach dieser Wärme wieder abzukühlen, kann man sich unter einen eiskalten Wasserfall stellen, der sich direkt neben dem Schwimmbecken befindet. Der Effekt ist sehr Sauna-ähnlich und somit gesund und entspannend.

Aussicht in Baños
Mein Gastonkel Alexis und ich an einem Aussichtspunkt in Baños

 

Trotz vieler Tourist*innen haben mich das Städtchen und vor allem die umliegende Landschaft total begeistert, sodass unser Wochenend-Ausflug eine sehr schöne Abwechslung zu meinem Alltag in Quito war.

Ich freue mich schon, euch bald im nächsten Blogbeitrag von meinen neuen Abenteuern zu erzählen!

Bis dahin,

saludos de la mitad del mundo!