Eine prägende Entscheidung

Auf dem Gelände der Benga Catholic Parish – dem Ort, an welchem ich nun schon fast seit einem Jahr leben und arbeiten darf – liegt ein großer sandiger Sportplatz. Meistens wird dieser nachmittags von den Schülern der anliegenden Primary School genutzt, um den Schultag mit einem Fußball- oder Volleyballspiel ausklingen zu lassen. Manchmal gehe ich dort auch mit Nathan, einem der Priesterseminaristen, mit welchen wir in der Parish zusammenleben, ein paar Runden laufen. Währenddessen unterhalten wir uns auch über verschiedene Dinge, beispielsweise über seinen bisherigen Lebensweg oder seine Erfahrungen in Malawi. Manchmal aber auch nur über Gott und die Welt. Eines Tages stellte ich ihm, während wir zwischen zwei Runden wieder zu Atem kommen mussten, folgende Frage: “Nathan, was war eigentlich der beste Ratschlag, den du jemals von jemandem erhalten hast?”. Er überlegte kurz und antwortete: „Stell dir vor, welche Person du in zehn Jahren sein möchtest und handle danach”. Und mit einem leichten Grinsen fügte er noch hinzu: „Denn von deinen Entscheidungen heute, hängt auch dein Leben in der Zukunft ab”. Das gab mir zu denken und so ging mir nach dem Gespräch mit Nathan nur eine Frage durch den Kopf: Was hätte ich alles verpasst, wenn ich mich nicht dazu entschieden hätte, einen Freiwilligendienst zu machen? 

Da wäre mein erstes Länderspiel der malawischen Fußballmannschaft, wofür mir meine Mitfreiwilligen David und Veronica Eintrittskarten zum Geburtstag geschenkt und welches wir ein paar Tage nach meiner Geburtstagsfeier in Lilongwe, der Hauptstadt Malawis, angeschaut haben. Das Highlight des Spiels (Malawi gegen Ägypten) war es zum einen die besondere Stimmung im Stadion mitzuerleben und zum anderen, was ich davor nie erwartet hätte, den ägyptischen Weltstar Mo Salah in diesem Land auflaufen zu sehen. Als Erinnerung haben wir uns zuvor auch das Trikot der malawischen Nationalmannschaft gekauft, wodurch während des Spiels ein paar interessante Gespräche mit den Fans im Stadion zustande gekommen sind. 

David, Veronica und Ich beim Länderspiel

In den letzten Monaten hatten wir auch wieder die Möglichkeit beim Feiern einiger christlicher Feste Malawis dabei zu sein. Besonders ist mir der Umzug am Palmsonntag in Erinnerung geblieben. Hierfür haben wir uns in der Nähe von Alinafe, einem Krankenhaus, welches von der Community in dem dort anliegenden Dorf betrieben wird, getroffen. Zu Beginn wurden vor dem Krankenhaus Palmwedel an die teilnehmenden Gläubigen verteilt und sich anschließend auf den Weg zum Gelände der Parish gemacht. Toll war es hierbei zu sehen, wie begeistert die Menschen den Umzug mit Tanzen und Singen gefeiert haben. Ein weiteres für mich sehr faszinierendes Ereignis war die Teilnahme an einer Beerdigung in Malawi. Ein Mitglied des Agogo-Projekts, das sich für ältere Menschen im Umkreis der Parish einsetzt und in welchem ich während meiner bisherigen Zeit hier gearbeitet habe, war leider verstorben. Hierfür sind wir in ein kleines Nachbardorf von Benga gefahren, in welchem sich bereits mehrere hundert Menschen für die Beerdigungsfeierlichkeiten versammelt haben. In Malawi ist es nämlich Tradition, dass bei Beerdigungen auch alle Einwohner der Nachbardörfer eingeladen sind.  

Die Beerdigung war in zwei Teile aufgeteilt. Zu Beginn gab es eine kurze Messe, welche von Steven, einem der Priester der Parish, geleitet wurde. Anschließend kam der traditionelle Teil der Chewas, des dominierenden Stammes in Malawi, welcher auch in der Umgebung von Benga die Mehrheit ausmacht. Zuallererst berichtete jeweils ein Familienmitglied von der Seite des Vaters und der Mutter des Verstorbenen über dessen Lebensweg. Sodann kommen die Chiefs der umliegenden Dörfer zu Wort und bekunden der Familie des Toten ihr Beileid. Diese Stammesoberhäupter nehmen in der traditionellen Hierarchie der Chewas eine wichtige Rolle ein. Die Familie erhält auch eine Beileidsbekundung in Form von Geld, welche anschließend laut verlesen wird. Gegen Ende wird der Sarg des Verstorbenen von allen Besuchern zu einem kleinen anliegenden Friedhof geleitet und dort mit viel Gesang beerdigt. Bis heute in Erinnerung geblieben ist mir der Satz eines Angehörigen, mit welchem ich mich nach der Beerdigung mit meinen Kollegen vom Agogo Project unterhalten habe: “Jeder hat nur eine begrenzte Zeit auf dieser Erde, und wenn das Ende dieser Zeit gekommen ist, bleibt uns Hinterblieben nichts anderes übrig als die geteilte Zeit in unserem Herzen zu bewahren.“ 

Wisdom und ich nach der Food Distribution

In den letzten Monaten fand auch wieder regelmäßig die Food Distribution des Agogo-Projekts statt, bei welchem wir Lebensmittel wie Salz und Zucker und Dinge des täglichen Bedarfs an die Agogos (Chichewa für ‚ältere Person‘) der umliegenden Dörfer verteilen. Mir gefällt es dabei besonders gut,  wenn wir in die abgelegenen Regionen der Parish in die Berge fahren, da die Natur dort wunderschön ist und uns die Menschen dort immer sehr herzlich empfangen. Im Juli war es ein sehr seltsames Gefühl, diese Orte ein letztes Mal für eine lange Zeit zu sehen und mich von den Agogos zu verabschieden, von welchen ich einen Teil mittlerweile sehr lieb gewonnen habe. In den vergangenen Monaten hat auch das Housing Project wiederbegonnen, bei welchem Agogos für einen geringen Eigenanteil ein kleines Haus errichtet wird. Ich war von dieser Idee von Beginn an begeistert, weswegen Nathan, der für das Projekt zuständig ist, mir die Möglichkeit gegeben hat, den Bau eines Hauses von Anfang an mitzuerleben und bei der Planung und Umsetzung mitzuhelfen. Hierfür haben wir erstmal Materialien wie Ziegel und Holz von Händlern in der Umgebung eingekauft und diese anschließend zur Baustelle am Ortsende von Benga gebracht. Meine Aufgabe war es, den Bauprozess anhand von Bildern zu dokumentieren. Ich hatte aber auch ab und zu die Möglichkeit, etwas beim Bauen mitzuhelfen. Nach ein paar Wochen war es dann endlich so weit: Das Haus wurde im Beisein des Agogos und seiner Angehörigen von der Parish offiziell an ihn übergeben und es wurde mit Softdrinks auf einen gelungenen Hausbau angestoßen. 

David und Ich mit den Constructors und Agogo Khudze vor dem Haus

In den letzten Monaten konnten wir uns auch wieder ein paar Tage Zeit nehmen, um verschiedene Teile des Warmen Herzens Afrikas, wie Malawi auch genannt wird, besser kennenzulernen. So sind wir im Mai in den Norden des Landes gefahren. Dort sind wir in der Mushroomfarm untergekommen, einer in den Bergen gelegenen Lodge, von welcher man einen wunderschönen Ausblick auf den Lake Malawi hat. Dort haben wir den Geburtstag einer anderen Freiwilligen, welche wir beim Zwischenseminar kennengelernt haben, gefeiert und konnten bei einer Wanderung zu einem nahen gelegenen Wasserfall wieder mal die tolle Natur Malawis bewundern. Die Zeit dort verging wie im Flug, sodass wir uns schon bald wieder auf den Rückweg nach Benga machen mussten.

Sonnenaufgang Mushroom Farm

Mitte Juli habe ich zusammen mit meinen Mitfreiwilligen David und Veronica und Veronicas Bruder, welcher zu dem Zeitpunkt zu Besuch war, ein Wochenende in der Ntchisi Forrest Lodge geplant. Diese liegt mitten im Ntchisi Forrest Reserve, einem der letzten Regenwälder in Malawi. Die Besitzer sind zwei Deutsche, welche sich für den Erhalt des Regenwaldes einsetzen und vor Ort eine Kaffee-Kooperative ins Leben gerufen haben. Diesen verkaufen sie in Düsseldorf in ihrem eigenen Geschäft und ermöglichen den Farmern vor Ort den bestmöglichen Preis für ihren Kaffee zu erhalten. Einen der Besitzer konnten wir auch vor Ort treffen. Es war sehr interessant von seinen bisherigen Erfahrungen in Malawi zu hören. Er erzählte auch von dem Verein, den er gegründet hatte, um in Malawi (unter anderem) Brunnenbauprojekte durchzuführen. 

Ntchisi Forrest

 

Während unseres Aufenthalts dort haben wir eine Wanderung zu einem beeindruckenden Aussichtspunkt im Urwald unternommen, von welchem aus man einen atemberaubenden Blick auf die umliegende Region hatte. Auch hatten wir die Möglichkeit, bei einer Tour in der an die Lodge angrenzenden Rösterei und auf den Feldern der Kaffee-Kooperative mehr über den Produktionsprozess von Kaffee zu lernen. Zudem konnten wir ein interessantes Projekt der Benga Parish mit eigenen Augen sehen. Mitten in den Bergen, in der Nähe des kleinen Dorfes Pondani, in welchem auch eine Kirche der Pfarrei steht, wird momentan in Zusammenarbeit mit der Community vor Ort ein Damm errichtet. Dieses Projekt wird nach der Fertigstellung mehr als 250 Familien unterstützen, die damit mehr als 20 Hektar Land bewässern können. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, was eine Community erreichen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. 

Damm Projekt Pondani Community & Benga Parish

Abgesehen davon fand vor einigen Tagen eine besondere Messe auf dem Gelände der Klosterschwestern, bei welchen auch meine Mitfreiwillige Veronica gearbeitet hat, statt. Diese hatten vor einigen Monaten ein Projekt gestartet, um junge Frauen dabei zu unterstützen, ein eigenständiges Leben führen zu können. Dafür haben sie ihnen das Nähen beigebracht und ihnen gezeigt, wie sie diese Fähigkeit nutzen können, um dauerhaft ihr eigenes Geld zu verdienen. Auch wurde ihnen im Rahmen dieses Projektes allgemeines Wissen wie Time Management aber auch Wege vermittelt, wie sie sich selbst persönlich weiterentwickeln können. Die Messe stellte den Abschluss des Projektes da, um die Erfolge der jungen Frauen zu feiern. Ursprünglich war auch geplant, dass der Bischof der Diözese die Feierlichkeiten anleitet, was dann aber aufgrund eines dringenden Meetings nicht möglich war. Dennoch war es schön zu sehen, wie viel dieses Projekt im Leben dieser Frauen bewirkt hat und wahrscheinlich noch bewirken wird. 

Nun kam auch langsam der unvermeidliche Zeitpunkt des Abschiednehmens. Veronica und David waren ursprünglich Freiwillige in Uganda, sind dann aufgrund eines Ebolaausbruchs nach Malawi gewechselt. Aus diesem Grund haben sie sich entschlossen, ihre restlichen Urlaubstage darauf zu verwenden, eine Woche früher aus Malawi aufzubrechen und die verbleibende Zeit in Uganda zu verbringen. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir uns am besten von den Menschen in Benga verabschieden können. An ihren letzten Tag in Benga haben wie eine kleine Messe mitorganisiert, für die wir unter anderem die Lieder ausgesucht haben. Zum Abschied hat uns die Köchin der Parish auch einen Kuchen gebacken, den wir mit allen Anwesenden geteilt haben. Anschließend gab es ein gemütliches Zusammensein im Volunteers-Haus, in dem wir die letzten Monate gelebt haben. So hatten wie die Möglichkeit, uns gebührend von den Priesterseminaristen der Parish zu verabschieden. 

Abschiedsbild Veronica und David

Am Tag darauf war es dann so weit:  Wir traten unseren Weg nach Lilongwe zum Flughafen an. Dort verabschiedeten wir uns bei einem netten Abendessen noch von einem guten Freund, welcher in Lilongwe lebt, und konnten dabei die gemeinsame Zeit in den letzten Monaten nochmal reflektieren. Nach Veronicas und Davids Abflug ging es dann für mich wieder zurück nach Benga, wo ich die verbleibende Zeit bis zu meinem Rückflug nach Deutschland verbringe. In den letzten Tagen habe ich viele Menschen getroffen und es war ein seltsames Gefühl zu realisieren, dass es vermutlich bei vielen das letzte Mal gewesen sein wird und dass das Leben, welches ich die letzten Monate hier verbracht habe, bald der Vergangenheit angehören wird. Gestern bin ich mit meinen Kollegen aus dem Agogo-Projekt und Manolo, einem der Priester der Benga Parish, zu einer am Malawisee gelegenen Lodge fahren. In diesem Moment ist mir ein weiteres Mal bewusst geworden, wie dankbar ich sein kann, diese Zeit in Malawi erlebt zu haben. Und auch wenn ich es am Anfang nicht gedacht hätte: Mir ist dieses Land sehr ans Herz gewachsen.  

Sonnenuntergang Lake Malawi

Vielleicht überlegst du dir ja gerade, einen Freiwilligendienst zu absolvieren? Vielleicht hast du aber auch Angst davor, was dich erwarten könnte und dass es doch nicht so werden könnte, wie du es dir vorstellst? Dazu kann ich dir sagen, dass es definitiv Höhen und Tiefen geben wird. Dass es vielleicht Momente gibt, in welchen du bereuen wirst, diese Reise ins Ungewisse angetreten zu haben. Ich kann dir aber auch sagen, dass es Momente geben wird, in welchen du tiefste Dankbarkeit für die Menschen in deiner Umgebung und die Zeit hier verspüren wirst. Und Erlebnisse, bei welchen du realisiert, wie glücklich du eigentlich sein kannst, dass gerade DU diese Dinge erleben darfst. Und ich kann dir auch sagen, dass, wenn du dich auf die Kultur deines Gastlandes einlässt und auf die Menschen, denen du dort begegnest, du bei deiner Rückkehr nach Deutschland nicht mehr derselbe Mensch sein wirst. Du wirst zahlreiche positive Erfahrungen gesammelt haben, welche dich in deiner Persönlichkeit haben wachsen lassen. Und ich glaube und bin mir sogar ziemlich sicher, dass dir am Ende deines Freiwilligendienstes bewusst werden wird, dass deine Entscheidung für diese Reise den Rest deines Lebens prägen wird. Denn von deinen Entscheidungen heute, hängt dein Leben in der Zukunft ab.