Auf 2.750 Metern angekommen

Kannst Du Dir vorstellen 16 Stunden in einem Reisebus zu sitzen und durch die Anden zu tuckern? Kannst Du Dir vorstellen in ein Flugzeug zu steigen, ohne zu wissen, wer oder ob Dich jemand am Flughafen abholt? Kannst Du Dir vorstellen ein Jahr einfach Dein gewohntes Umfeld zu verlassen und was ganz neues zu wagen?

Nach einer spannenden Zeit in Lima ging es für mich am 24. August weiter nach Cajamarca.
Wenn Du jetzt denkst, dass ich mit einem klappernden Bus gefahren bin, dann hast Du Dich getauscht. Tatsächlich war es ein ganz komfortabler Bus, mit verstellbaren Sitzen und eignem Fernseher, doch die Kurven und Abgrunde hatten es in sich… Aber ich würde es immer und immer wieder machen, die Landschaft war einfach nur ein Traum, kaum zu beschreiben. Gott sei Dank, musste ich diesen Reisebus nicht fahren;-)

Nun war es soweit, ich bin auf 2.750 Metern angekommen, in einer ganz anderen Welt. Auf mich warteten die Projektpartnerinnen von MICANTO, MitarbeiterInnen und meine unfassbar tolle Gastmutter. Ich lebe hier in einer fantastischen peruanischen Großfamilie, mit vier Gastgeschwistern, zwei Gastschwestern, zwei Gastbrüdern und meinen Gasteltern. Nach kurzer Zeit wurde mir klar, genau hier bin ich richtig und genau hier möchte ich bleiben. Schon nach ein paar Tagen tanzte ich an dem Feiertag Santa Rosa de Lima mit meinem Gastbruder mitten auf der Straße (wohlbemerkt im Mittelpunkt). Alle um uns herum klatschten und tanzten fröhlich mit. Es ist schön zu wissen und zu fühlen, dass man akzeptiert und willkommen ist. Ich hatte hier nie das Gefühl unerwünscht zu sein, im Gegenteil alle freuen sich mich zu sehen. Ich werde überall mitgenommen, eingeladen und das mit einer Herzlichkeit und Freude der Menschen.

Auf 2.750 Meter angekommen in meinem Herzensprojekt! Meine ersten Tage und Wochen waren sehr spannend. Zunächst hatte ich eine Eingewöhnungswoche, in welcher ich mit verschiedenen MitgliederInnen des Teams (equipo) alle touristischen Orte abgeklappert habe. Aber am meisten haben mich nicht die touristischen Attraktionen beeindruckt (okay, ja auch), aber es war schön einfach alle einmal persönlich kennenzulernen, sich auszutauschen und viel zu lachen. Dann war es so weit, ich wurde im Haus MICANTO von allen Kindern, Gruppen, Freiwilligen und vom Team begrüßest. Während meiner Bienvenida (Willkommensparty) am 04. September habe ich das warme Herz und die tiefe Freude von Cajamarca gespürt. Rührende Worte, tolle Spiele, wundervolle Tänze, magische Zauberstücke und noch vieles mehr…und das alles nur für mich.

Kannst Du Dir vorstellen, so herzlich empfangen zu werden? Wenn das kein Zeichen von (Gast)Freundschaft und Herzlichkeit ist, dann weiß ich auch nicht… Auch ein paar Tränen sind geflossen, weil ich mich so sehr darüber gefreut habe. Auch wenn mich die Kinder noch nicht so gut kennen, sie kommen zu mir, wünschen mir einen schönen Tag. Sie umarmen mich und manchmal bekomme ich auch einen Kuss auf die Wange;-)

Wie ist es mit vier Gastgeschwistern und den Gasteltern? Es ist wirklich wunderschön mit meiner Gastfamilie. Ich habe zwei Gastbrüder (Manuel, 23 Jahre und Yojan, 20 Jahre) und zwei Gastschwestern (Joana, 25 Jahre und Medaly, 8 Jahre), meine Gastmutter Jilma (49 Jahre) und mein Gastvater Alejandro, also wird es nie langweilig. Es ist immer was los bei uns zu Hause. Meine Gastmutter besitzt einen kleinen Laden. An meinen freien Morgen helfe ich ihr gerne im Laden, das heißt Gewürze eintüten, Früchte einräumen, einkaufen gehen und vieles mehr. Und am Abend rede ich mit Yojan gerne mal bis tief in die Nacht, wir schauen Filme oder blödeln gerne herum. Meiner kleinen Gastschwester, Medaly gebe ich Nachhilfe in Englisch, male mit ihr oder wir spielen Spiele. Mit meiner älteren Gastschwester gehen wir zum Gottesdienst. Jeden Sonntagnachmittag gehen wir alle zusammen Volleyball spielen, ich denke, dass ich nach dem Jahr bestimmt um einiges besser Volleyball spielen kann;-)
Ihr merkt schon, es wird nie langweilig, es gibt immer etwas zu tun…

Aber was mache ich jetzt genau hier? Hier in MICANTO „José Obrero“? Was ist MICANTO? MICANTO heißt auf Spanisch:
Movimiento Cristiano de Adolescentes y Niñ@s Trabajadores Organizad@s MICANTO – „JOSÉ OBRERO”.
(christliche Bewegung organisierter Jugendlicher und arbeitender Kinder MICANTO – „JOSÉ OBRERO“).


Es ist eine soziale Bewegung, die sich seit 18 Jahren für die Förderung und Verteidigung der Rechte arbeitender Kinder und Jugendlicher (NNAT’s). Dabei respektiert die Bewegungen die Kultur, Religion und Bräuche usw. jedes Kindes. Hier gibt es 5 Bereiche: 1. Evangelización (Evangelisierung, Katechese), 2. Reforzamiento (Nachhilfe-AGs), 3. Talleres (Verschiedene Workshops: Tanz, Gebärdensprache, Singen usw.), 4. Participación (15 Kinder-und Jugendgruppen mit verschiedenen Freiwilligen) und 5. La Salud (Medizinische Ergänzung).

Ich arbeite aktuell in vier Bereichen mit (in der medizinischen Ergänzung nicht). Montagsnachmittags und Freitagsnachmittags helfe im Reforzamiento mit. Das heißt Nachhilfe in Mathematik oder Kommunikation geben. Dienstagsnachmittags und Donnerstagsnachmittags helfe ich in verschiedenen AGs mit. (Bis ich meine eigene AG leiten darf:-) Mittwochsnachmittags gibt es immer eine Reunión des Teams (Versammlung). Hier wird über alles gesprochen: was war gut oder schlecht oder welche Kinder benötigen vielleicht mehr Hilfe. Am Samstagsmorgen arbeite ich in der Katechese mit und am Nachmittag begleite ich eine Kindergruppe. Und was mache ich morgens? Da bin ich im Büro und arbeite an verschiedenen Sachen, wie die Website, Boletines oder bereite Dinge vor. Am coolsten sind die Samstagsabende, denn nach der Gruppenphase, gibt es auch immer ein Angebot für uns Freiwillige. Mal haben wir einen Tanz-Workshop, mal einen Gebärden-Workshop, mal einen spirituellen Workshop usw.

Was kann ich abschließend sagen? Ich fühle mich hier wie zu Hause. Es hat sich tatsächlich von Beginn an, so angefühlt, als ob ich nach Hause gekommen wäre. Ich habe mich kein Mal unwohl oder unerwünscht gefühlt. Von Tag eins, war ich überall willkommen und ich wurde akzeptiert. Sodass ich Castrop-Rauxel bis jetzt kein bisschen vermisse. Ich denke, dass ich hier genau richtig bin. MICANTO ist ein wundervoller Ort. MICANTO ist eine große Familie, dazu gehören das Team, die Freiwilligen, die Kinder und die Eltern. Der Glaube steht im Mittelpunkt. Jede Team-Besprechung startet mit einem Gebet. Jeder Nachmittag startet für die Kinder und uns mit einem Gebet. Auch das Essen startet mit einem Gebet. Aber ebenso die Gemeinschaft ist ein zentraler Punkt von MICANTO. MICANTO ist für mich eine Familie. Alle Kinder, Jugendlichen und Eltern sind willkommen. Niemand wird ausgeschlossen. Ich habe mich schon am ersten Tag im Projekt, wie zu Hause gefühlt. Man hilft sich, man redet miteinander und  man ist für einander da. Das ist MICANTO, ein Ort für alle Kinder. Hier kann man sein, wer man ist. MICANTO bedeutet Freiheit, hier zählt Deine Stimme und Deine Persönlichkeit. Hier werden die Rechte der Kinder respektiert und hier werden sie geliebt.  Es gibt viele Kinder, die zu Hause Gewalt, Missbräuche etc. erleiden müssen, aber genau hier erfahren sie, was Liebe, Zuneigung und Respekt bedeutet. Es ist schön zu sehen, wie die Kinder hier aufgehen und sein können, wie sie sind. Die Kinder kommen immer mit viel Spaß, guter Laune und einem Lachen hier hin, wobei ihre kleinen Herzen so viel Leid erfahren müssen. Genau das ist MICANTO, eine Familie!

Vielen Dank fürs Lesen und hoffentlich bis bald!

Hasta luego,
Linda:-)