¡Bienvenidos a Medellín!

Leicht fällt es mir nicht, meine ersten eineinhalb Monate in Medellín in wenige Worte zu fassen. Müsste ich mich aber festlegen, trifft es „Musik, Lebensfreude, Offenheit, Gelassenheit und Hilfsbereitschaft“ wohl am besten.

Zunächst aber von Beginn an: Mein Jahr in Medellín startete mit einer äußerst stressfreien Flugverbindung. Dieses Kompliment kann ich allerdings nur aufgrund einer jungen Kolumbianerin aussprechen, die sich nach lediglich einer kurzen Frage, ob es für sie auch nach Kolumbien gehe, meiner annahm und es zu ihrer persönlichen Aufgabe machte, dass auch ich meinen Anschlussflug bekam. Was ich bereits hier ohne die kolumbianische Offenheit und Hilfsbereitschaft, von der ich schon vorher viel gehört hatte, von der mir aber auch die junge Frau auf unserem Weg nochmal erzählte (und zugegebenermaßen nicht so positiv mit ihren Erfahrungen in Deutschland verglich), gemacht hätte, weiß ich nicht.

Der Blick auf Medellín bei Nacht

Leider trennten sich unsere Wege nach einem kurzen Nummernaustausch bereits wieder, denn ihre Reise ging weiter nach Bogotá, während ich in das Flugzeug nach Medellín einstieg. In Medellín angekommen, glücklicherweise mit beiden Koffern und voller Vorfreude, wurde ich von Carols Vater abgeholt. Carol ist Direktorin des Projektes (Corporación Republicanas Populares) und auch die Frau, bei der ich zunächst vorläufig wohnen werde. Nur ein Problem begleitete mich bei dieser Abholung in Form von Standortangaben in WhatsApp-Audios. Sowohl mangelnde Sprachkenntnis, als auch viel mehr die Geschwindigkeit und der kolumbianische Akzent erschwerten die Sache. Trotzdem fand ich das Auto recht schnell und mich und Carols Wohnung trennten nur noch rund eine halbe Stunde. Aus dem Auto konnte ich dann zum allerersten Mal einen Blick auf die Stadt erhaschen, die nun für das nächste Jahr mein Zuhause sein sollte.

Bei Carol angekommen, ging es in den 16. Stock eines Hochhauses und in ein kleines Zimmer mit einem deutlich zu großen Bett. Ich breitete also meine Koffer aus, aß mit Carol zu Abend und versuchte dann möglichst schnell zu schlafen. Die wild hupende Verkehrskulisse sowie die Zeitverschiebung machten ein Durchschlafen allerdings beinahe unmöglich.

Am nächsten Morgen ging es dann zum ersten Mal ins Haus der Corporación. Dort angekommen, durfte ich die weiteren Frauen kennenlernen und wurde auch gleich mit der harten Realität der Feminizide in Kolumbien konfrontiert. Auch wenn ich nicht alles verstand, was bei den Telefonaten gesprochen wurde, reichte es, um mir ein Bild von der Situation, als auch von der wichtigen Arbeit der Organisation zu machen. Diese besteht in diesem Bereich vor allem aus rechtlichem, organisatorischem sowie emotionalem Beistand.

Das Thema Feminizide begegnete mir auch in den folgenden Wochen häufig, denn eine meiner Aufgaben besteht darin, Artikel für das „Observatorio de Feminicidios“ ins Englische zu übersetzen.

In diesem Kontext treffe ich fast ausschließlich auf die Bezeichnung „Feminizide“, wohingegen zum Beispiel in Deutschland nur von „Femiziden“ die Rede ist. Der Unterschied besteht hierbei darin, dass es sich bei letzterem um eine Tötung mit geschlechtsspezifischen Ursachen handelt, während bei Feminiziden die Systematik in der Tötung der Frauen, die auch Komponenten staatlicher Verantwortung miteinschließt, eine tragende Rolle spielt. Diesem Geflecht und den folgenschweren Schicksalen versucht „Republicanas Populares“ entgegenzuwirken.

Rio Medellín und eines der Barrios Populares, hier „La Frontera“

Zwei Tage die Woche befinde ich mich allerdings am anderen Ende der Stadt in einem der Barrios Populares. Aus dem Fenster der Metro sehen die Häuser dort in der Ferne wie aufeinander gestapelte Schuhkartons aus. Die Berge, zwischen denen die Stadt liegt, in die sich aber auch die Stadtviertel erstrecken, begünstigen dieses Bild. Im Barrio „La Frontera“ veranstalten Tatiana, meine Mentorin und Teil der Organisation, und ich bis Dezember zweimal die Woche ein Programm für die Schülerinnen und Schüler des örtlichen Schulzentrums. Als endgültiges Ziel steht hierbei, ein Lied mit den Kindern und Jugendlichen zu schreiben, aufzunehmen und ein Musikvideo zu drehen.

Dieses Lied entwickelte sich in den letzten Wochen stetig weiter. Dabei steht zu Beginn des Programms immer ein inhaltlicher Teil, in dem es um Fragen wie „Was ist Rassismus?“, „Was ist das Patriarchat?“, „Was ist Feminismus?“ oder um die sozialen Hierarchien in Kolumbien während der Kolonialzeit ging. Tatsächlich wurde ich davon überrascht, wie gut diese Gespräche auch mit meinem teilweise noch eher entbehrlichen Spanisch funktionierten. Diese neuen (oder aufgefrischten) Erkenntnisse gilt es dann in einen Rap-Text umzuwandeln. Zum Verinnerlichen und wohl auch fürs Selbstbewusstsein muss schließlich jedes Kind, begleitet von einem vorläufigen Beat, einmal vor allen den aktuellen Text vorrappen. Als ich den Satz „Greta, jetzt bist du aber dran!“ hörte, musste auch ich mich dazu überwinden.

Passend dazu ist Musik im Allgemeinen ein großer Bestandteil von Medellín, zum Einen, weil in jedem der vielen kleinen Geschäfte lautstark Musik läuft und sich mit den Rufen der Obst- und Gemüseverkäufer in den Straßen mischt. Häufig finden diese Anpreisungen sogar vorgesprochen und aufgenommen durch ein Megaphon (selbstverständlich) unterlegt mit Musik) statt, dies senkt den Lautstärkepegel nicht unbedingt. Zum Anderen kommt man auch als Freizeitbeschäftigung an Musik nicht vorbei, so besuchte ich zum Beispiel schon ein Chorkonzert in einer Universität sowie ein Musikfestival. Selbst die drei Stunden Wartezeit in der Migrationsbehörde wurden von einer kleinen Musikbox begleitet. Da wundert es kaum, dass mir hier bisher  noch niemand begegnet ist, der/die nicht äußerst talentiert tanzen konnte. Nachts pulsiert dann schließlich das Nachtleben lautstark beinahe direkt vor meinem Fenster und Medellín wird zu einem Meer aus Lichtern, die Sterne sucht man hier vergeblich.

In den seltenen ruhigen Minuten wollen vor allem die Kinder und Jugendlichen alles Mögliche über Deutschland wissen. Viele Male warteten diese dann auf eine Antwort auf die Frage: „Gibt es in Deutschland Schnee?“ Als ich dann Fotos von einem typisch deutschen November zeigte, also von kahlen Bäumen und spärlichem Schneematsch am Straßenrand, blickte ich in fassungslose Gesichter. „Das sieht aber traurig aus!“ kommentierte ein Junge. Das ist leicht gesagt in der Stadt, in der die Bäume immer grün sind und die Blumen das gesamte Jahr in den buntesten Farben blühen.

Wenn ich jetzt durch die Straßen Medellíns laufe, kann ich wirklich schon zugeben, dass ich mich auf jeden Fall ein klein wenig in diese Stadt verliebt habe. Die Häuser sind bunt, überall wo noch Platz dafür ist, wächst ein Baum, man sieht immer irgendjemanden tanzen, und genauso lebendig, wie diese Beschreibung klingt, wirken die Menschen bisher auf mich. Dadurch, dass hier beinahe jeder Laden aus einer Theke besteht, hinter der ein hohes Regal aufgebaut ist, welches nur durch den Verkäufer oder die Verkäuferin erreicht werden kann, ist man dazu gezwungen, mit den Menschen zu sprechen. Diese eigentlich so selbstverständlichen Interaktionen werden, zumindest in Deutschland, immer weniger, sind aber so unglaublich wichtig für den alltäglichen Umgang mit Menschen. Die Kontaktfreudigkeit, die ich bisher erfahren durfte, kann man wirklich gut damit erklären und auch ich habe bereits jetzt schon weitaus weniger Hemmungen, Menschen einfach anzusprechen.

Auch in sonst allen Gesprächen, die ich mit Taxifahrer:innen, Obsthändlern oder in den zahlreichen Läden führte, wurde bisher beinahe jedes Mal meine Haarfarbe sowie meine Größe kommentiert. Zuverlässiges Lieblingsthema bleibt allerdings meine Augenfarbe, auf die dann immer die Frage nach meiner Herkunft angehängt wird. Nach der Antwort und der Angabe, warum und wie lange ich hier bin, werde ich beinahe jedes Mal mit einem sehr freundlichen „¡Bienvenida a Medellín!“ willkommen geheißen.

Diese Aussage beschreibt auch meinen ersten Monat in der Stadt des ewigen Frühlings (so wird Medellín gerne genannt, bei der Vegetation kann ich dieser Bezeichnung bisher nur beipflichten) ziemlich gut, denn bisher kann ich mit voller Überzeugung davon sprechen, dass ich mich hier willkommen und wohl fühle und schon voller Vorfreude auf das kommende Jahr blicke.

Gestaltung der Wand im Café Ruda (einem Café, welches auch zur Corporación gehört, in dem vor allem von Frauen gefertigte Produkte verkauft werden)
Tagesausflug nach Santa Elena