Mitten durch das Land und Marmeladenglasmomente

Was machst Du während einer 18-stündigen Busfahrt nach Cajamarca? Es ist dunkel draußen und du kannst nichts sehen, also habe ich angefangen, die letzten Wochen und Monate zu reflektieren. Es ist ein richtiges Privileg, reisen zu können und die Welt entdecken zu können. Denn manche Kinder hier aus MICANTO können es sich kaum leisten, zum Hauptplatz „Plaza de armas“ zu fahren. Die Kinder wussten natürlich, dass ich weg war… Sagt man die Wahrheit, wo man hinfährt? Oder ist es besser zu schweigen, aber mal ehrlich, Kinder bekommen alles raus…

Wahrscheinlichen denken die meisten an Machu Picchu, wenn man über Peru spricht, aber weißt du welche Stadt für mich viel schöner ist? Arequipa.
Arequipa liegt im Süden von Peru, zwischen 3 Vulkanen. Die Stadt ist nicht überflutet von Touristen und ist nicht so teuer wie Cusco, ein wirklicher Geheimtipp. Aber ich möchte jetzt nicht über die Sachen sprechen, die ich gesehen habe oder die man in Arequipa machen kann, das könnt ihr schließlich alles auch selbst googeln;-)
Heute möchte ich über verschiedene Momente und Situationen, die ich auf meiner Reise erlebt habe.

Man glaubt gar nicht, wie gut man sich auf Reisen kennenlernt und insbesondere auf einer Reise, die ein Jahr dauert. Viele Dinge, die einen vorher verärgert und genervt haben, stören dich heute nicht mehr. Du lernst vieles über dich, über deine Familie und über deine Kultur, Land und Leute kennen, und diese Erkenntnisse sind manchmal gut und manchmal auch schlecht… Reisen bedeutet Freiheit, aber wenn Reisen Freiheit bedeutet, dann sind viele Leute nicht frei.

Auf meiner Reise in Arequipa bin ich mit einer Gruppe von Touristen zu Wasserfällen gefahren, natürlich alle Lateinamerikaner, nicht nur Peruaner, aber ich, die einzige Deutsche im kleinen Minivan. Als wir angehalten haben, um Mittag zu essen, saß eine Frau draußen mit einem kleinen Babyalpaka. Sie wollte natürlich ihre Sachen an mich verkaufen, aber ich fing an, mich mit ihr zu unterhalten. Sie war sichtlich überrascht davon, dass ich „gut“ Spanisch sprechen konnte und hat mich gefragt, „¿no eres gringa, hablas muy bien español?“ (Bist du keine Ausländerin, du sprichst sehr gut spanisch?) Nachdem ich ihr erzählt habe, dass ich Freiwillige aus Cajamarca und in der Einsatzstelle MICANTO JOSÉ OBRERO arbeite, frage sie mich immer weiter. Ich habe bestimmt eine Viertelstunde mit ihr gesprochen; nachdem sie alles über MICANTO und über mich gewusst hatte, hat sie mir von ihr erzählt. Sie hat mir erzählt, dass ihr Mann gestorben ist und sie alleine fünf Kinder versorgen muss. Sie erzählte, dass sie krank ist und kein Geld hat, dass ihre Kinder in die Schule oder in den Kindergarten gehen können. Und dieser Fall ist keine Seltenheit. Am Ende hat sie mir etwas von ihrem Essen abgeben und ich habe ihr Kekse gegeben, die ich mit hatte, so haben wir zusammen gegessen und gesprochen.

Ein anderes Beispiel, das mich eher geschockt hat, war in einem Minivan. Wir sind auf dem Weg zu einer Tour. Es ist warm, die Fenster sind offen und die Frau vor mir war an ihrem Handy. Sie hat mit ihrer Familie gesprochen, wann wir wohl Mittagessen würden, wann wir zurückkommen und wie die Tour so sein wird… Und plötzlich sah ich aus dem Fenster, wie ein Mann lossprintet und zu uns an den Minivan kommt und versucht, das Handy von der Frau zu klauen; zum Glück ist es ihm nicht gelungen, aber knapp war es schon. Und das, meine Lieben, hätte mir auch passieren können, denn nur 5 Minuten vorher habe ich mein Fenster zugemacht und ich war auch am Handy. Uns, als Freiwilligen, wird immer davor gewarnt, dass wenn wir uns „zu sicher fühlen“, da wir uns angepasst haben und uns auskennen, zu Fehlern neigen … Und ja, auch ich war in diesem Moment naiv gewesen und es hätte mich auch treffen können.

Als wir Freiwilligen auf dem letzten Seminar war vor der Ausreise, haben wir uns allen einen kleinen Brief geschrieben und ich mache jeden Monat ungefähr immer einen Brief auf, dieses Mal war es ein Brief von Paulina, die mich gefragt hat: Hattest du schon einen Marmeladenglasmoment? Ja, Paulina hatte ich und hier kommt er … Ein gewöhnlicher Tag, ich war in einem Einkaufszentrum, denn ich wollte ein paar Sachen besorgen, die mir fehlten. Ich habe mir was zu essen gekauft und schließlich wollte ich noch ein Eis genießen, als mir ein kleiner Junge begegnet ist. In Peru ist es sehr üblich, dass Kinder Lutscher oder andere Sachen an die Leute in Einkaufszentren verkaufen. Also dachte ich, bevor ich ihm 1 Sol für einen Lutscher gebe, habe ich ihm mein Eis geschenkt. Und dieses Lachen von diesem kleinen Jungen werde ich nicht vergessen. Er hat sich 1000 Mal bei mir bedankt und wollte mir einen Lutscher schenken.

Wenn ich so recht überlege, ist das auch ein Marmeladenglasmoment, Paulina … Das ist mir erst vor kurzem passiert; ich war mit einem Freiwilligen aus MICANTO auf Reisen und wir haben zu Abend gegessen. Auch am Abend/in der Nacht versuchen Kinder ihre Dinge zu verkaufen; diesmal war es ein Souvenir, ein kleines Tier. Wir haben ihm ein kleines Tierchen abgekauft, aber danach habe ich zum Freiwilligen gesagt, weißt du was, wir haben noch so viel Essen übrig, meinst du nicht, dass er mit uns essen kann? Schließlich saßen wir mit dem kleinen Jungen an einem Tisch und haben zu Abend gegessen; am Ende ging er mit einer Tüte voller Essen und einer halben Flasche voller „gaseosa“ (Limonade). Sein Kommentar, als er gegangen ist: „No pensé que alguien me va a regalar algún día en mi vida una cena tan rica y tan bonita, gracias a ustedes.“ (Ich hätte nicht gedacht, dass mir jemand eines Tages in meinem Leben ein so köstliches und schönes Abendessen schenken würde, danke euch.)

Und weil es so schön ist, gibt es noch zwei Marmeladenglasmomente:
1. Als meine Mutter zu Besuch war, gingen wir meine Gruppe besuchen. Meine Gruppe, wie ihr wisst, wohnt außerhalb von Cajamarca und alle Kinder leben in extremer Armut. Meine Mutter hat ihre Häuser kennengelernt und ihre Situationen. Es war schön, als wir uns zum Schluss zusammengesetzt haben und alle Kinder meiner Mama nun Fragen gestellt haben. Zuvor haben die Kinder von sich und ihrem Leben erzählt, jetzt war meine Mama dran. Auch, wenn meine Mama kein Spanisch spricht, am Ende sind die Kinder mit einem: Tschüss, Karina herausgegangen. Am meisten haben sie sich über die leckeren Haribo-Tütchen von meiner Mama gefreut. Es war ein wundervoller und unvergesslicher Tag für die Kinder und auch für uns. Bis heute fragen mich die Kinder, wann doch meine Mama kommt.


2. Als meine Freundinnen da waren, haben sie mich auch in meiner Einsatzstelle besucht und haben auch mich durch meine Arbeit begleitet. Vielleicht kommt es in meinen anderen Blogeinträgen mehr rüber, aber diese Einsatzstelle hat und prägt mein Leben sehr, denn ich bezeichne es ungern als meine Einsatzstelle, denn es ist mein zweites Zuhause und meine zweite Familie geworden, sodass auch als meine Freundinnen gegangen sind, weinen mussten, als sie sich von den Kindern verabschiedet haben.

An diesen beiden Beispielen sieht man und spürt man, wie viel dieser Ort, MICANTO bedeutet, nicht nur für die Kinder hier, sondern auch für uns. MICANTO ist eine Bewegung, wie das M von movimiento sagt. Und diese Bewegungen bewegt uns bis nach Deutschland und ich bin mir sicher, wenn meine Mama und meine Freundinnen diesen Beitrag lesen werden, wissen sie, was ich meine …

Hasta luego,

Linda