„poco a poco“ – Ankommen in Urubamba!
Nun ist es tatsächlich soweit, und das, was mir immer in weiter Zukunft und so unfassbar schien, ist nun meine Realität:
Vor circa 40 Tagen bin ich in Cusco gelandet.
Der Abschied aus Köln, einer Stadt und von Menschen, die mir so am Herzen liegen, war nicht einfach. Als es an der Sicherheitskontrolle dann endgültig Zeit war, Tschüss zu sagen, ist in mir eine Schwere aufgekommen und ich hätte die Zeit gerne eingefroren. „Können wir nicht einfach vor diesem Gate stehen bleiben?“, habe ich mir insgeheim gedacht. Die Wochen vor der Abreise waren ein Auf und Ab der Gefühle. Einerseits totale Vorfreude und so viele Fragen, die mir durch den Kopf gingen: Wie wird das Jahr sein? Welche Menschen werde ich kennenlernen? Wie wird es mit den Kindern sein? Was werde ich lernen? Und wer werde ich sein, wenn ich zurück komme?
Andererseits ein Abschiedsschmerz von allem Gewohnten und meinen Liebsten und die Fragen: Wie wird es ohne sie sein? Wird es mir schwerfallen? Werde ich mich wohlfühlen? Werde ich hier etwas verpassen?
Als es dann soweit war und ich die Zeit nun wirklich nicht mehr aufschieben konnte, ging es mit meinem Pass in der Hand durch das Tor. Tief ein- und ausatmen. Ich wusste, dass ich nun klar denken musste, um mich bloß nicht am Gate zu verlaufen – und ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war.
Schon jetzt, nach „nur“ fünf Wochen, kann ich dies bestätigen. Ich durfte bereits so viel sehen und lernen. Angefangen mit dem Flug und der Landung auf einem der höchstgelegenen Flughäfen, haarscharf an den Ausläufern der Anden vorbei – das war schon ein Erlebnis. Als ich die gigantischen und majestätischen Anden aus dem Flieger gesehen habe, wie sie aus der Wolkendecke herausragten, hat es „Klick“ gemacht, und ich habe verstanden, dass es nun wirklich anfängt: Ein neues Kapitel, mit neuen Menschen, einer neuen Kultur, neuer Umgebung, einer neuen Sprache, die ich noch nicht allzu gut beherrsche. Diese Schwere vom Flughafen hat sich in kindliche Neugier verwandelt.

Von Cusco aus ging es noch eine Stunde auf einem kurvenreichen Weg mit dem Auto nach Urubamba. Dabei musste ich mich sowohl an die Höhe als auch an das schnelle „Castellano“ (so wird das Hochspanisch hier genannt) gewöhnen. Meine Sprachvorbereitung in den letzten Monaten war mir dabei keine allzu große Hilfe. Es ist dann doch nochmal ganz anders, wirklich hier zu sein. Und das lässt sich auf alles übertragen: Alle Erwartungen an diesen Ort verblassen neben dem, was ich tatsächlich erlebe.
In meiner Einsatzstelle, dem Hogar „Semilla de Jesús“, angekommen, wurde ich herzlich von meiner Chefin Rosi, meiner Mentorin Gabi und den Kindern empfangen. Es war eine Wärme und Freude zu spüren, die es mir leicht gemacht haben, mich hier sehr schnell wohlzufühlen. Schon in diesen ersten Begegnungen gab mir Rosi etwas Wichtiges mit: poco a poco. Schritt für Schritt, sagte sie, solle ich mir Zeit geben, hier anzukommen und alles nach und nach zu lernen.
Im Hogar steht zunächst die Bildung im Mittelpunkt: Kinder, die aufgrund ihrer abgelegenen Heimat in den Anden und schwieriger sozialer Verhältnisse sonst kaum Chancen hätten, dürfen hier zur Schule gehen. Während der Schulzeit wohnen 21 Kinder im Hogar und besuchen die nahegelegenen Schulen in der Stadt. Am Nachmittag werden sie bei den Hausaufgaben unterstützt und begleitet. Doch das Hogar ist weit mehr als nur ein Ort für Schulbildung. Die Kinder werden hier aufgefangen und umsorgt, sodass es für sie wirklich zu einem zweiten Zuhause wird.
Den Leiterinnen „Mama Rosi“ und „Mama Gabi“ liegen die Kinder sehr am Herzen, und sie wollen ihnen hier einen sicheren Ort schenken. Gleichzeitig ist es ihr Anliegen, dass die Kinder zu verantwortungsbewussten und selbstständigen Erwachsenen heranwachsen. So helfen sie im Alltag mit, beim Abwaschen und Aufräumen, damit sie lernen, ihre Aufgaben pflichtbewusst zu übernehmen. All das eingebettet in eine warmherzige und familiäre Atmosphäre, in der ein herzliches Miteinander den Alltag prägt. Die Arbeit des Hogars beeindruckt mich sehr. Sie geben den Kindern so viel mit, und ich habe den Eindruck, die Kinder können sich hier wirklich frei entfalten und heranwachsen. Ich bin sehr dankbar, in dieser vergleichsweise kurzen Zeit ein kleiner Teil des Großen sein zu dürfen und mit anpacken zu können.
Dabei beinhalten meine Aufgaben im Hogar beispielsweise, den Mädchen morgens vor der Schule beim Haare machen zu helfen – wobei die Kinder selbst darin durchaus talentierter sind als ich. Sie zur Schule zu bringen und abzuholen, in der Küche und während den Hausaufgaben zu helfen und einfach Zeit mit ihnen zu verbringen: zu essen, zu spielen, zu tanzen, zu basteln, … Dadurch, dass ich auf der Einsatzstelle selbst lebe, konnte ich mich schnell in diesen Alltag eingliedern und Teil der Gemeinschaft werden. Parallel hilft mir Rosis und Gabis sehr zuwendende und warmherzige Art, meinen Platz hier zu finden.
Gleichzeitig war in meinen ersten drei Wochen ein deutsches Ehepaar zu Besuch, das sich seit einigen Jahren im Hogar engagiert. Für mich ein großes Glück zum Einstieg, sie als kleine „Starthilfe“ an meiner Seite zu spüren – sei es beim Übersetzen oder beim Erkunden der Stadt.Gleich in den ersten Tagen ging es auf eine ‚Fiesta‘ im Nachbardorf, auf eine Wanderung zu in Urubamba gelegenen Inkaruinen oder gemeinsam mit allen zum ‚Pollo a la brasa‘ (Brathähnchen nach peruanischer Art).
Ihr Abschied in der letzten Augustwoche war traurig, aber gleichzeitig auch ein Highlight. Denn Peru kann definitiv feiern! Die Kinder haben heimlich Tanz- und Gesangseinlagen einstudiert, bei denen auch ich mitwirken durfte. Es wurden Reden gehalten und Tränen sind geflossen. Vor allem aber wurde an dem Abend das Tanzbein geschwungen: Karawanen über Karawanen oder wilde Pirouetten – alles war dabei. Auch wenn das Abschiedsfest einen traurigen Anlass hatte, war in all dem eine große Freude zu spüren: die Freude und Dankbarkeit, sich kennen zu dürfen, und die Gewissheit, dass es ein Wiedersehen geben wird. Dieser Perspektivwechsel und das Feiern trotz Abschiedsschmerz waren auch für mich in der Anfangsphase sehr bereichernd.
Solche Momente zeigen mir, wie bunt und lebendig das Leben hier ist. Zwischen Traurigkeit und Freude, Abschied und Neubeginn entstehen Erfahrungen, die mir die Zeit auf eine besondere Weise spürbar machen.
Diese Zeit vergeht hier in Urubamba aber irgendwie anders. Einerseits kann ich kaum glauben, dass nun bald schon Oktober ist, und andererseits wirkt der Abflug noch gar nicht so lange her. Manchmal gibt es dann aber doch Momente, die anders sind als zuhause. Die Höhe habe ich ja schon erwähnt. Noch immer muss ich manchmal anhalten, wenn ich es etwas eilig habe – ein Indiz dafür, dass ich nun doch noch nicht so lange hier bin und sich mein Körper noch akklimatisieren muss. Oder aber die schnelle Erkenntnis, dass Zebrastreifen hier für Fußgänger kaum Bedeutung haben – ein kleiner Kulturschock für meine deutsche Prägung, die an brav wartende Autos gewöhnt ist. Stattdessen heißt es: die freien Sekunden nutzen und zügig rübergehen. Eine andere Erfahrung war das Backen in einem „horno comunal“ (öffentliche Öfen in der Stadt), einem Lehmofen. Zwei Kinder haben mich netterweise dorthin begleitet und es ging mitsamt meinem rohen Bananenkuchenteig im Mototaxi zum Ofen, und nach einer Stunde Backzeit war der Kuchen fertig. Es hat alles super geklappt, und nun ging es mit dem gebackenen Kuchen im Mototaxi zurück zum Hogar, wo er beim samstäglichen Abendkino verschlungen wurde.
Die größte Herausforderung war jedoch die Sprache. In den ersten Tagen war ich, um ehrlich zu sein, etwas überfordert, aber genau diese drei Worte, die ich gleich zu Beginn gehört habe – poco a poco – sind mir hier ein treuer Wegbegleiter. Schon jetzt verstehe ich viel mehr als am Anfang und kann mich auch viel besser ausdrücken. Ein großer innerer Freudensprung war, als mir dies auch von den Kindern rückgemeldet wurde. Es kommt mir manchmal sogar so vor, als würde ich Spanisch fließend verstehen und sprechen können – was nach dieser Zeit jedoch ein Wunder wäre. Aber ich glaube, es ist die Herzlichkeit und Offenheit, die mir hier begegnen und die mich so fühlen lassen. Ich durfte jetzt schon lernen, dass Kommunikation nicht allein auf Sprache und Vokabeln basiert, sondern auch auf einem Lächeln, einer Umarmung oder wilden Pantomimegesten, wenn mir mal das Wort fehlt. Und vor allem: Geduld mit sich selbst zu haben.
Die drei Lieblingswörter meiner Mentorin sind nun auch meine Lieblingswörter. Es hilft unglaublich, sich erstmal auf die nächsten kleinen Schritte zu konzentrieren und nicht auf das Große. Dieses Jahr kommt mir gerade noch lang und sein Ende so weit entfernt vor. Aber es sind viele kleine Schritte, die zum Ankommen und schließlich auch auf die Zielgerade führen. Ich glaube, in ein paar Monaten werde ich sehen, wie sehr mich diese „kleinen Schritte“ getragen und wie weit sie mich gebracht haben. Ich kann mir vorstellen, wie sehr ich mir nach sechs, neun und letztendlich zwölf Monaten noch so viel mehr Schritte wünschen werde – und die Zeit, genauso wie letztens vor der Sicherheitskontrolle, anhalten möchte.

Jetzt befinde ich mich jedoch noch am Anfang dieser großen Reise. Einer Reise, die nicht nur Kilometer umfasst, sondern auch innere Schritte. Raus aus dem Gewohnten und rein in etwas Neues. Also versuche ich, diesen Moment und diese Ungewissheit bezüglich dessen, was mich noch alles erwartet, zu genießen und erstmal die kleinen Schritte zu gehen: „poco a poco“.
Ich bin so überflutet von all den bisherigen Eindrücken und gespannt auf das, was noch auf mich wartet.
Bis dahin: ¡Hasta luego!,
Eure Maja
Majaaaa, du hast das so schön geschrieben. Man bekommt richtig ein Bild von deinem Leben dort und ich kann so vieles nachempfinden!! Ich wünsche dir eine tolle Zeit und freue mich schon mega, wenn wir uns Wiedersehen .
Toll erzählt-ein echtes Talent den Leser mit auf deine Reise zu nehmen! Danke fürs Teilen!!!Gottes Segen!!
Toll erzählt-ein echtes Talent den Leser mit auf deine Reise zu nehmen! Danke fürs Teilen!!!Gottes Segen!!
Liebe Sarah, ich habe mich so über deinen Kommentar gefreut! Danke, für das Kompliment! 🙂
danke Fridaa!!! Ich freue mich schon, dir hoffentlich alles zeigen zu können!
Weiterhin alles Gute dort liebe Maja!! Die Bilder sind so stark und ich freu mich bald mehr von dir zu lesen
Grüße aus Köln, deine Ninaaa
Danke liebe Ninaa! Ich freu mich schon alles dann in-Person zu erzählen!
Maja, das hast du so unglaublich toll und lebendig geschrieben! Sowohl was du erzählst als auch wie du dies tust ist wirklich beeindruckend!
vielen dank felicitas!!! ich bin schon ganz gespannt auf deine erzählungen:)
Hammer Bericht Maja!
Geh unbedingt weiter „poco a poco“ deinen Weg, dann wirst du noch so viel erleben (und hoffentlich uns auch wieder so spannend davon berichten)
Danke Valentin!! Ich freu mich so für dich, wenn’s dann endlich losgeht!