Miércoles – von Banda bis Buenas Noches
Mittwoch. Nicht ganz Wochenende, aber wir kommen der Sache näher. Unter der Woche beginnen meine Tage bevor die Sonne überhaupt daran denkt, aufzustehen. Mittwoch ist genau so ein Tag – irgendwie ist er typisch für mein Leben hier. Genau deshalb lohnt es sich, mal genauer hinzuschauen. So sieht mein Mittwoch normalerweise aus – getaktet, gewohnt, und trotzdem irgendwie besonders.
4:50 Uhr – Der erste Wecker klingelt. Ich weiß, was er will – aber ich ignoriere ihn gekonnt. Zehn Minuten gönn ich mir noch.
5:00 Uhr – Der zweite Wecker meldet sich. Hartnäckiger Typ. Ich drehe mich zur Seite und verhandle mit meinem inneren Schweinehund: Nur fünf Minuten noch, wirklich.
5:10 Uhr – Okay, okay, jetzt aber wirklich. Musik an, schnell anziehen, Kontaktlinsen rein, Schwimmsachen schnappen und ab nach unten. Kein Platz für Langeweile!
5:20 Uhr – Frühstück für später vorbereiten und dabei einen grünen Apfel essen – gesund und praktisch, damit ich Energie fürs Schwimmtraining habe.
5:30 Uhr – Leise aus dem Haus schleichen, damit ich meine Gastfamilie nicht wecke.
5:35 Uhr – An der Bushaltestelle angekommen, heißt es warten. Wann der Bus kommt? Keine Ahnung. Manchmal eine Minute, manchmal eine Viertelstunde. Die mexikanische Buslogik.
5:40 Uhr – Heute habe ich Glück: Da kommt er, der 231C. Könnte auch der 231 oder 52B sein, aber heute ist’s eben der 231C. Ich steige ein und werde sofort mit lauter Banda-Musik begrüßt – spätestens jetzt bin ich wirklich wach. Die Fahrt kostet mich dank meines Lehrertickets, das ich als Freiwillige an der Schule bekomme, nur die Hälfte: 5 MXN, also knapp 25 Cent.
5:50 Uhr – Ankunft am CODE. Das ist das Centro Deportivo hier in Guadalajara – eine große Sportanlage mit Hallenbad, Fitnessstudio und allem, was man für Sport braucht. Schnell umziehen und fertig machen.
6:00 Uhr – Schwimmtraining beginnt. Seit Oktober trainiere ich hier im CODE – anfangs nur nachmittags und zweimal die Woche. Mittlerweile gehe ich montags bis freitags um 6:00 morgens ins Training und habe es geschafft, ins Schwimmteam aufgenommen zu werden! Im Juni steht wahrscheinlich ein Wettkampf an – ich bin schon ganz gespannt.
7:00 Uhr – Eigentlich trainieren wir bis 8:00, aber um pünktlich zur Einsatzstelle zu kommen, muss ich heute etwas früher gehen. Heute sind wir 3 Kilometer geschwommen, ich bin etwas erschöpft, aber der Tag hat gut angefangen.
7:15 Uhr – Frisch geduscht und schnell fertig, gehe ich zur Bushaltestelle. Wieder heißt es warten auf den 231 oder 231C.
7:22 Uhr – Da kommt er schon! Am Batan treffe ich meine Vorgesetzte Cony. Ich steige um, um mit ihr zusammen auf Ivonne zu warten. Sie nimmt uns mit zur Schule.
7:50 Uhr – An der Einsatzstelle angekommen höre ich schon die Kinder schreien. Sie sind im Movimiento, einem spielerischen Aufwärm- und Tanzprogramm, das die Kids vor dem Unterricht machen.
7:55 Uhr – Ich begrüße meine Kolleg*innen aus der Primaria und gehe dann zu meinen Chiquitos – der ersten Klasse, Primero de Primaria. Wir bedanken uns gemeinsam bei Gott für den neuen Tag, tanzen, spielen und singen ein Geburtstagsständchen – für einen Jungen aus der fünften Klasse, der heute feiern darf.
8:10 Uhr – Jetzt wird entschieden, wer zuerst in den Klassenraum darf: die erste oder die zweite Klasse? Schere, Stein, Papier bringt die Entscheidung – und wir gewinnen! Also los, rein in den Klassenraum. Erste Stunde: Mathematik. Ich helfe beim Hausaufgaben-Korrigieren oder unterstütze den Englischlehrer bei der Bewertung der 7.–9. Klasse über eine Onlineplattform.
8:30 Uhr – Die Hefte sind korrigiert, und Patty – eine der beiden Lehrerinnen – bietet mir einen Keks an. Dann widmen wir uns dem Periódico Mural für den neuen Monat. Das ist so etwas wie eine große, kreative Wandzeitung, die im Flur hängt. Jeden Monat gestalten die Klassen sie neu – mit Bildern, Texten, Bastelarbeiten oder Infos zu aktuellen Themen. Jetzt überlegen wir, was wir diesen Monat machen könnten.
Zwischendurch werden wir ständig von den Kindern unterbrochen: ein Schnürsenkel muss gebunden werden, jemand wurde angeblich beleidigt, ich werde nach meiner Lieblingsprinzessin gefragt oder bekomme ein selbst gebasteltes Geschenk in die Hand gedrückt – das sind immer die schönsten Momente.






Die Kleinen sind einfach unglaublich süß, und ich habe wirklich jedes einzelne der 40 Kinder aus der ersten Klasse total ins Herz geschlossen. Es ist wunderschön, ihre Entwicklung mitzuerleben. Klar, manchmal ist es laut, chaotisch oder anstrengend – aber die Liebe, die sie einem zurückgeben, wiegt alles auf. Ich lerne so viel von ihrer Unbeschwertheit, ihrer Direktheit, ihrem Lachen. Die Arbeit mit Kindern ist für mich eine echte Bereicherung – auch, weil sie einem helfen, das kleine Kind in sich selbst wiederzufinden und Darlehen etwas leichter zu sehen.
9:00 Uhr – Die Kinder haben jetzt Sportunterricht. Wir drei Lehrerinnen der ersten Klasse nutzen die Zeit zum Frühstücken und um unsere pendientes abzuarbeiten – also all die kleinen Aufgaben, die sich im Laufe des Tages oder der Woche angesammelt haben.
9:50 Uhr – Frühstückszeit für die Kinder. Zum Glück haben wir schon gegessen, denn jetzt ist unsere volle Aufmerksamkeit gefragt: Tupperdosen öffnen, Flaschen aufdrehen, Limetten auspressen, Tränen trocknen und Streitereien schlichten. Für eigenes Frühstück bleibt da keine Zeit mehr.
10:20 Uhr – Frühstück vorbei, weiter geht’s mit dem Spanischunterricht. Während die Kinder lernen, gehe ich durch die Klassen von der ersten bis zur sechsten, um zu schauen, ob jemand Plastikdeckel mitgebracht hat – die kommen nämlich in unser großes Recycling-Herz, das ich ja in früheren Blogeinträgen schon mal erwähnt habe. Manchmal helfe ich auch der Direktorin mit kleinen Aufgaben – was gerade so anfällt. Ich bin da, wo Hilfe gebraucht wird.
11:10 Uhr – Pause für die ersten bis dritten Klassen. Ich unterhalte mich ein bisschen mit den Kolleginnen aus der ersten und zweiten Klasse, während wir gemeinsam auf die Kinder aufpassen. Dabei heißt es unter anderem: keine Bäume hochklettern, keine akrobatischen Sprünge von den Mauern – also ganz normale Kinderlogik im Pausenmodus.
11:30 Uhr – Ende der Pause. Jetzt ist Zeit, zur Ruhe zu kommen: Augen schließen, durchatmen, runterfahren. Gilt übrigens auch für uns Lehrerinnen.
11:50 Uhr – Jetzt unterrichte ich zwei Stunden Musik – erst mit der zweiten, dann mit der vierten Klasse. Das macht immer richtig Spaß, auch wenn der Musikraum sich inzwischen eher wie ein Backofen anfühlt. Tagsüber haben wir mittlerweile rund 35 °C – und das merkt man! Aber beim Singen vergisst man die Hitze fast.
13:20 Uhr – Der Musikunterricht ist vorbei, und ich gehe zurück zu meinen chamaquitos. Gerade arbeiten sie am proyecto – sie basteln, schneiden, kleben, was das Zeug hält. Für uns Lehrerinnen heißt das: kurz durchatmen und ein bisschen plaudern, während die Kleinen beschäftigt sind.
14:05 Uhr – Schon Zeit zum Zusammenpacken! Ein langer Schultag liegt hinter den Kindern – sechs Stunden voll Programm. Jetzt warten sie darauf, von ihren Eltern, Geschwistern oder Tanten abgeholt zu werden. Adiós y hasta mañana! Einige bleiben aber noch, um zur Instrumentenklasse oder zum Kunstunterricht zu gehen. Ich bleibe auch – aber nicht als Lehrerin, sondern als Sängerin im Chor!
14:20 Uhr – Als alle Kinder abgeholt sind, laufe ich einmal über die Straße zu Lili, einer kleinen comida casera – das ist ein Familienrestaurant mit ganz einfachem, aber leckerem, hausgemachtem mexikanischen Essen. Ich hole mir ein lonche de salami – ein typisches Brötchen mit Salami, Salat, Tomate und scharfer Soße. Genau das Richtige, bevor es weitergeht.
14:30 Uhr – Zusammen mit ein paar anderen Kolleg*innen, die auch länger bleiben, setze ich mich hin und esse gemütlich zu Mittag.
15:00 Uhr – Zeit für den Chor! Unsere Chorleiterin Andrea ist übrigens die gleiche, bei der ich morgens auch im Musikunterricht helfe. Der Chor heißt Coro Familiar, weil Eltern – meistens Mütter – gemeinsam mit ihren Kindern aus der Secundaria singen. Es macht richtig Spaß, mit ihnen zu proben und dabei auch die Familien von La Barranca besser kennenzulernen.
Da ich hier leider keine Posaune mehr spiele, ist der Chor für mich eine schöne Möglichkeit, meine musikalische Seite trotzdem auszuleben. Außerdem hilft es mir total, mein Spanisch zu verbessern – die Liedtexte muss ich ja schließlich auswendig können. Und bald steht sogar ein Konzert an!
16:30 Uhr – Der Chor ist vorbei, meine Stimmbänder haben Feierabend – und ich auch. Ich werfe schnell einen Blick nach draußen und hoffe auf einen aventón, also eine Mitfahrgelegenheit. Der Judo-Lehrer fährt nämlich nach dem Unterricht direkt zum CODE, wo mein Tag heute früh um 6 Uhr angefangen hat. Praktisch! Das ist viel näher an meinem Zuhause als die Schule. Mit dem Bus würde ich nämlich locker eine Stunde brauchen – bei der Hitze und ohne Klimaanlage fühlt sich das wie eine Ewigkeit an.
Glück gehabt – der Judo-Lehrer ist noch da. Ich steige ein und wir plaudern ein bisschen. Letztens haben wir rausgefunden, dass sich unsere Väter kennen – seiner war Bildhauer, meiner Musiker. Künstlerwelt eben. Jeder kennt jeden – oder kennt jemanden, der jemanden kennt.
17:00 Uhr – Nach ungefähr einer halben Stunde sind wir am CODE. Von dort nehme ich einen der üblichen Busse – 52B, 231C oder 231 – Richtung Zuhause.
17:15 Uhr – Zuhause! Endlich! Ich war jetzt fast 12 Stunden unterwegs, mein Körper schreit nach einer Pause – aber hey, immerhin hab ich wieder einen ganzen Tag Mexiko mitgenommen.
17:30 Uhr – Noch kurz zur tienda um die Ecke – diese kleinen Läden, wo es von Tomaten über Toilettenpapier bis zu Tortillachips einfach alles gibt. Ich kaufe Obst und Gemüse fürs Frühstück. Die Leute dort kennen mich schon und begrüßen mich immer freundlich mit: „¡Hola, Maestra Ortiz!“ Es ist schön, sich so willkommen zu fühlen.






17:45 Uhr – Jetzt aber wirklich zu Hause. Ich werfe alles auf mein Bett (inklusive mir selbst), bereite noch kurz die Sachen für morgen vor und dann… ausruhen.
18:00 Uhr – Endlich: Füße hoch, pendientes erledigen (ihr erinnert euch – offene Aufgaben, hatte ich ja oben schon erklärt) und den Tag ruhig ausklingen lassen.
20:00 Uhr – Ich bin durch. Augen zu, Welt aus. Jetzt, völlig k. o., falle ich ins Bett, um mir meine wohlverdienten acht bis neun Stunden Schlaf zu gönnen – damit ich morgen um 4:50 Uhr (oder, wenn der Morgenmuffel in mir gewinnt, um 5:15 Uhr) wieder aus den Federn komme. Der Tag war schön, aber echt lang. Buenas noches.
Gute Nacht – Mittwoch geschafft.