Mehr als Worte sagen können…

Und dann ist er da.
Der Abschied.
Das Ende dieses Jahres.
Das Ende von so vielem.
Ich wusste, dass dieser Moment kommen würde.
Nur kam er anders, als ich es mir gewünscht hätte.
Nicht ganz so ruhig, nicht so geplant, nicht mit der inneren Klarheit, auf die ich gehofft hatte.

Seit Donnerstag (24.07.) hat sich die politische Lage an der thailändisch-kambodschanischen Grenze zugespitzt. Der lang schwelende Grenzkonflikt zwischen den beiden Ländern ist erneut eskaliert. Es kam zu militärischen Spannungen, darunter auch Artilleriegefechten in Grenznähe. Poipet – und damit die Don Bosco Schule, mein Lebensmittelpunkt, mein Zuhause für ein Jahr – liegt mittendrin. Nur wenige Kilometer von den Unruhen entfernt. Auf Anweisung der deutschen Botschaft, des Weltwärts-Programms und der Sternsinger musste ich die Schule am Freitagmorgen (25.07.) verlassen und mich nach Phnom Penh, der Hauptstadt im Landesinneren, begeben.

Mein Herz ist ganz schwer.
Ich bin jetzt in Sicherheit – während die Schule geschlossen ist und viele der Kinder und Jugendlichen des Internats über das Wochenende nach Hause gebracht werden sollen. Meine Gedanken sind bei ihnen. Während ich hier sitze und die letzten drei Tage meines Jahres verbringe, spüre ich diese seltsame Schwere: das Wissen, gegangen zu sein – und gleichzeitig noch so sehr dort zu sein. In meinem Kopf wirbeln so viele Gedanken – von Aufbruch und Bleiben, von Erinnerungen, Fragen, Gefühlen. Ankommen und Aufbruch. Dankbarkeit und Traurigkeit. Loslassen und Festhalten. Ich spüre diese seltsame Mischung aus Bewegung und Stillstand.

Ein letzter Eintrag.

Es fällt mir schwer, diese Zeilen zu schreiben.
Aber diesen Blogbeitrag möchte ich nicht der Traurigkeit überlassen. Nicht der Unsicherheit.
Heute steht etwas anderes im Vordergrund – etwas, das mein Herz genauso sehr erfüllt wie die Schwere des Abschieds: tiefe Dankbarkeit. Für dieses Jahr – das intensivste, prägendste, schönste meines Lebens. Es gibt so viel, wofür ich danken kann. Für die Herausforderungen, die mich wachsen ließen. Für die wundervollen Momente, die mich zum Lachen und Staunen gebracht haben. Für die Begegnungen, die mein Leben bereichert und mein Herz berührt haben. Für die kleinen Alltagsdinge, die mir gezeigt haben, wie besonders jeder Tag sein kann.
In den kommenden Abschnitten möchte ich all diese Facetten teilen – als ein großes, buntes Danke an das, was war. Und vor allem: an die Menschen, die diesen Weg mit mir gegangen sind.

Wenn ich an die letzten 12 Monate zurückdenke, dann denke ich zuerst an Gesichter.
An Lächeln. An Stimmen. An Hände, die mich gehalten und getragen haben. An Umarmungen, wenn ich das Klassenzimmer betrat. Dieses Jahr war nicht nur ein Jahr in einem anderen Land – es war ein Jahr mit Menschen. Mit Kindern, Jugendlichen, Kolleg:innen, Freund:innen, mit meiner zweiten Familie. Sie haben dieses Jahr geprägt, getragen und zu dem gemacht, was es war.

Ich beginne mit einem großen Dank an die Lehrer:innen, die mir dieses Jahr so viel beigebracht und mich begleitet haben. Sie waren nicht nur Kolleg:innen – sie wurden Freund:innen. Von Anfang an begegneten sie mir mit einer Offenheit und Herzlichkeit, die mich tief berührt hat. Ich denke an die ersten Wochen, in denen sie mir Khmer beigebracht haben – geduldig, einfühlsam, immer mit einem Lächeln. An gemeinsame Mittagessen in der Lehrer:innenküche, bei denen wir lachten, neue Wörter tauschten und ich Stück für Stück ihre Welt verstehen durfte. An all die kleinen Begegnungen im Alltag, ihre Fragen zu meinem Leben in Deutschland und ihr ehrliches Interesse, mich wirklich kennenzulernen. Sie haben mir nicht nur bei meinen Tätigkeiten geholfen, sondern mich in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Ich durfte so viel von ihnen lernen – über Geduld, Vertrauen, kulturelles Verstehen und ein Leben, das tief in Gemeinschaft verwurzelt ist.

Ein ganz besonderer Teil in der Einsatzstelle war auch mein Mitfreiwilliger Ben aus Australien. Vom ersten Moment an war klar: Wir verstehen uns. Wir haben viel gelacht, diskutiert, philosophiert. Er hat regelmäßig über meinen „German accent“ geschmunzelt – und ich über seine australischen Redewendungen. Unsere Gespräche waren ehrlich, bunt, tief und oft sehr lustig. Wir haben nicht nur denselben Alltag geteilt, sondern auch viele Gedanken, Perspektiven und eine Freundschaft, die mir unglaublich wertvoll geworden ist. Es war schön, jemanden an meiner Seite zu haben, der trotz individueller Unterschiede aus einer ähnlich geprägten Kultur kommt – mit dem ich Gedanken teilen konnte, ohne viel erklären zu müssen. Kultureller Austausch war bei uns kein Konzept, sondern ein gelebter Alltag – und gleichzeitig war da diese Vertrautheit, die richtig gutgetan hat. Ben war für mich nicht nur ein Mitfreiwilliger, sondern ein Freund.

Und dann war da Fr. Michael – mein Mentor und jemand, dem ich viel zu verdanken habe. Er war das ganze Jahr über an meiner Seite: unterstützend, interessiert, wertschätzend. Er hat nie viele Worte gebraucht, um mir zu zeigen, dass er mich sieht, dass er meine Arbeit schätzt und dass es gut ist, dass ich da bin.

Ich denke auch an den Rest der Community, mit der ich gelebt habe. An die Abende, an denen wir zusammensaßen – müde vom Tag, aber offen für Gespräche über Gott, das Leben, die Welt. Diese Gespräche haben mich meinem Glauben auf eine neue, tiefere Weise nähergebracht. Ich habe erlebt, dass Kirche auch anders sein kann – nicht als starre Institution, sondern als lebendige Verbindung von Menschen, die gemeinsam hoffen, glauben, lachen, zweifeln und teilen. Ich durfte Teil davon sein, mich einbringen, Fragen stellen, zuhören und verstehen. Und ich durfte Tag für Tag ein Leben teilen – mit Menschen, die mir so viel gegeben haben. Ein Stück Heimat, weit weg von Zuhause.

All diese Menschen – Lehrer:innen, Mitfreiwillige, Mentor:innen und Mitglieder der Community – haben mein Jahr auf ihre Weise bereichert und mir viel gegeben. Doch das Wertvollste, das mich am meisten berührt und geprägt hat, sind die Kinder und Jugendlichen der Don Bosco Technical and Academic High School. Sie sind es, die dieses Jahr für mich unvergesslich gemacht haben.

Zuerst denke ich hier an die Kinder der Grundschule. An ihre Umarmungen, wenn ich das Klassenzimmer betrat. An das gemeinsame Spielen auf dem Schulhof. An das Lachen, das mich täglich begleitet hat. Sie haben mir so viel beigebracht – und das, ohne es zu wissen. Vor allem Khmer habe ich durch sie gelernt: durch ihre unermüdliche Motivation, mit mir zu sprechen, auch wenn ich anfangs kaum etwas verstand. Durch ihre Geduld, ihre Freude an jedem kleinen Fortschritt. Ich denke an den Englischunterricht, der selten wie Unterricht wirkte, sondern vielmehr wie ein gemeinsames Entdecken und Kennenlernen. An das spielerische Lernen, das Abklatschen, wenn man sich auf dem Gang begegnete. An ihre unerschütterliche Ehrlichkeit, die mich so oft zum Lachen brachte. Ich erinnere mich an ihre Fragen – so viele Fragen. Über mein Heimatland, über meine Freunde und Familie in Deutschland, über Schnee, über deutsches Essen und Fußballstars. Diese Kinder haben mir jeden Tag ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Sie haben mich aufgenommen – und sie haben dieses Jahr zu etwas gemacht, das ich nie vergessen werde.

Dann sind da all die Jugendlichen, die zu Freund:innen wurden. An all jene, die ich nicht nur betreut oder unterrichtet habe, sondern die ich als Menschen kennenlernen durfte. Die mir auf Augenhöhe begegnet sind – neugierig, herzlich, offen. Die echtes Interesse an meinem Leben, an meiner Herkunft und Kultur gezeigt haben. Mit denen ich zusammensaß, gelacht, geredet, gelernt habe – voneinander, miteinander. Ich erinnere mich an Gespräche über Zukunft, Träume und Unterschiede. An Fragen über Deutschland, über meine Familie, über alles, was für sie neu war.
Genauso erinnere ich mich aber auch daran, wie sie mir ihre Kultur nähergebracht haben – mit Stolz, mit Freude, mit einer Natürlichkeit, die mich oft staunen ließ. Sie haben mir gezeigt, welche Musik die beste ist, wie Khmer-Humor funktioniert und welche Jugendwörter ich unbedingt in meinen Wortschatz aufnehmen muss. Durch sie habe ich nicht nur etwas über Kambodscha gelernt, sondern über ein Lebensgefühl – über Zusammenhalt, Offenheit und echtes Interesse füreinander.

Zuletzt sind da die Kinder und Jugendlichen des Internats. Knapp 80 Schüler:innen – und doch so viel mehr als das. Sie wurden zu einer zweiten Familie. Wir haben nicht nur einen Ort geteilt, sondern ein Leben. Einen Alltag mit all seinen Routinen, Ritualen und kleinen Besonderheiten.
Wir haben gemeinsam gegessen, gelernt, gelacht. Ich denke an Fußballspiele mit den kleinen Jungs, an Klatschspiele und geflochtene Haare mit den Mädchen. An all die Gespräche mit den Älteren, an das Vertraute, das sich mit der Zeit ganz leise und selbstverständlich eingeschlichen hat. Sie haben mir ihre Welt gezeigt. Haben mich an die Hand genommen und mitgenommen – in ihre Sprache, in ihre Kultur, in ihren Alltag. Ich war niemals allein, sondern immer mitten unter ihnen. Nicht als Gast, sondern als Teil von allem. Durch sie durfte ich so tief eintauchen in die Kultur meines Gastlandes. Ich durfte unterstützen, begleiten, „da“ sein – und bekam so viel mehr zurück. Sie haben mir Vertrauen geschenkt, Nähe, echte Verbindung. Und ich durfte all meine Energie, meine Freude, meine Zeit in dieses Jahr legen – für sie.
Diese Kinder und Jugendlichen haben meinen Freiwilligendienst nicht nur geprägt – sie haben ihn zu dem gemacht, was er war. Zu einem Jahr voller Sinn, voller Leben, voller Liebe. Ich danke jedem Lächeln, jeder Begrüßung, jedem Gespräch, jeder kleinen Geste. Ihr habt mich aufgenommen, getragen, beschenkt – mehr, als Worte je sagen können.

Neben all den wunderbaren Menschen und Erfahrungen, die dieses Jahr geprägt haben, bleibt auch etwas in mir selbst zurück: Wachstum, Erkenntnis, ein neues Verständnis für die Welt – und für mich. Ich denke an das, was dieses Jahr mit mir gemacht hat. An all die leisen und lauten Veränderungen in mir, an das persönliche Wachstum, das kaum in Worte zu fassen ist.
Ich durfte lernen – jeden Tag. Über Privilegien und Verantwortung. Über Achtsamkeit, über Werte, über das, was wirklich zählt. Ich habe neue Lebensgewohnheiten kennengelernt, einen anderen Umgang mit Zeit und Alltag. Ich habe verstanden, dass vieles anders sein kann – und dennoch genauso richtig. Ich durfte erleben, wie kostbar es ist, aus Routinen auszubrechen und sich auf Neues einzulassen. Wie tiefgründig Gespräche mit Menschen sein können, deren Sprache ich zu Beginn kaum sprach – und wie verbindend es ist, wenn man sich trotzdem versteht. Ich habe gelernt, zuzuhören, ohne sofort zu verstehen. Geduldig zu sein, ohne immer Kontrolle zu haben. Dieses Jahr hat mir gezeigt, wie viel Kraft in kleinen Momenten liegt – in einem Lächeln, in einer helfenden Hand, in einem geteilten Schweigen. Es hat mich gelehrt, dass wirkliche Nähe nicht durch Worte entsteht, sondern durch ehrliches Interesse, durch Zeit, durch echtes Dasein. Mein Freiwilligendienst in Kambodscha hat meine Perspektive geweitet, mein Herz geöffnet und mich in eine Tiefe geführt, die ich vorher nicht kannte.

Ich durfte geben – meine Zeit, meine Energie, meine Aufmerksamkeit. Aber ich durfte vor allem empfangen: Vertrauen, Wärme, Zugehörigkeit. Ich habe erlebt, was es heißt, aufgenommen zu werden, trotz kultureller Unterschiede. Getragen zu werden, ohne darum zu bitten.
Ich gehe nicht als dieselbe Person zurück, die vor einem Jahr aufgebrochen ist. Dieses Jahr hat mich verändert – Schritt für Schritt, oft ganz leise, manchmal überraschend deutlich. Ich habe mich selbst neu kennengelernt: in anderen Rollen, in ungewohnten Situationen, im Spiegel einer mir zunächst fremden Kultur. Ich habe Seiten an mir entdeckt, die ich vorher kaum wahrgenommen habe – mehr Geduld, mehr Offenheit, mehr Vertrauen ins Leben. Ich bin gewachsen – an Herausforderungen, an Begegnungen, an Momenten, die mich gefordert und berührt haben. Dieses Jahr hat meine Sicht auf die Welt erweitert, mein Herz geöffnet und mein Denken vertieft. Es hat mir gezeigt, was wirklich zählt, und mich gelehrt, loszulassen, zuzuhören, einfach da zu sein.
Ich bin dankbar für all das, was ich lernen, erleben und fühlen durfte. Für die Menschen, die mich geprägt haben, für die Geschichten, die ich teilen darf – und für ein Jahr, das mich verändert hat. Für immer.

Es ist schwer zu begreifen, dass dieses Jahr nun zu Ende geht. Dass aus dem Alltag, der mir so vertraut geworden ist, plötzlich ein Rückblick wird. Dass ich nicht einfach nur einen Ort verlasse, sondern Menschen. Freund:innen. Familie auf Zeit.
Und es ist nicht nur der Abschied, der schwerfällt. Es ist die Realität, in die ich zurückkehre – und die, in der viele hier bleiben. Ein Land, das ich in einem Ausnahmezustand verlassen muss. Mitten in diesem Konflikt, mitten in Unsicherheit. Ich kenne Gesichter, die bleiben. Menschen, mit denen ich gelebt und gelacht habe. Menschen, die jetzt mit Ängsten und Herausforderungen konfrontiert sind, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Und gerade die Kinder und Jugendlichen, die mir in diesem Jahr so viel gegeben haben – sie haben so viel mehr verdient. Mehr Sicherheit. Mehr Leichtigkeit. Zu gehen, während sie bleiben, fühlt sich nicht nur nach Abschied an, sondern manchmal fast wie ein schlechtes Gewissen. Wie ein Gefühl von Hilflosigkeit, das schwer zu fassen ist. Ich wünschte, ich könnte mehr zurücklassen als ein Danke. Ein Danke, das so viel umfasst und doch nie genug ist. Was bleibt, ist dieses Gefühlschaos: Trauer und Dankbarkeit. Liebe und Wut über das, was ist. Und ein Wunsch, der leise in mir klingt – dass all diese Kinder und Jugendlichen genau das bekommen, was sie verdient haben: eine Zukunft voller Möglichkeiten.

Und vielleicht ist das ja das Schönste am Abschied: zu wissen, dass etwas so viel bedeutet hat, dass es weh tut, zu gehen. Ich bin unglaublich dankbar. Dankbar, dass ich da sein durfte. Dass ich so tief eintauchen durfte in ein Leben, das so ganz anders ist – und doch so vertraut wurde.
Dankbar für die unzähligen kleinen und großen Momente, die dieses Jahr zu dem gemacht haben, was es war: ein Geschenk. Ein Jahr voller Begegnungen, voller Leben, voller echter Verbindung. Ein Jahr, das mich reich gemacht hat.
Ich gehe nicht mit leeren Händen. Ich nehme all das mit – die Erinnerungen, die Stimmen, die Gespräche, die Fragen, das Lächeln. Ich nehme die Menschen mit, in meinem Herzen.

Vielleicht liegt genau darin auch Hoffnung. Denn das hier war kein Abschied für immer. Es war ein Kapitel – und ich bin sicher, dass weitere folgen werden.
Ich werde wiederkommen. Irgendwann.
Mit neuen Fragen. Mit offenen Händen.
Und mit Geschichten, die erst noch geschrieben werden müssen.

Danke.
Für jedes Lächeln.
Für jedes Gespräch.
Für jedes „Du gehörst dazu“.

Danke für alles.