Lebensmotto „New Experiences“
Willkommen zurück!
Nun sind schon zwei Monate vergangen, seit ich mich auf die Reise ins „Unbekannte“ gemacht habe, und ich glaube, mein Zeitgefühl ist bei meiner Ankunft hier komplett verloren gegangen. Denn manchmal fühlt sich ein einziger Tag ewig an, und dann wiederum gibt es Tage oder gar Wochen, die nur so verfliegen. In meinem Projekt habe ich so langsam einen „Alltag“ gefunden, wobei es hier definitiv nie eintönig wird und ich somit Einiges zu erzählen habe seit meinem letzten Blogeintrag:
Ich beginne mal mit der besagten alltäglichen Routine, um die häufig gestellte Frage „Was machst du eigentlich so den ganzen Tag?“ zu beantworten. An den Wochentagen heißt es für mich, um fünf Uhr morgens aufzustehen. Da hat Father Michael mit dem Satz „Die Tage beginnen früh in Kambodscha“ keinesfalls übertrieben. Mein Tag beginnt mit dem täglichen Morgengebet und anschließender Meditation. Ich muss aber ehrlicherweise gestehen, dass ich während der Meditationszeit gerne draußen auf dem Schulcampus einen kleinen Morgenspaziergang mache, da ich ansonsten auf meinem Stuhl in der Kapelle wieder einschlafen würde… Draußen genieße ich die morgenliche Ruhe und die (noch) angenehmen Temperaturen. Um 6:15 Uhr ist dann Messe mit den Schüler:innen des Internats, und zwar in Khmer. Ich kann von Glück sprechen, wenn ich aus ein paar verstandenen Worten bei der Predigt einen ungefähren Zusammenhang des Gesagten erschließen kann. Trotzdem ist es schön, Gottesdienst in einer anderen Kultur mitzuerleben, die Lieder, Gebete und natürlich die Stimmung. Nach dem Frühstück, wir erinnern uns, meist Reis (manchmal gibt es aber auch Baguette – jippie!) mit unterschiedlichen Beilagen und einer riesigen Auswahl an Obst beginnt bei mir die „Arbeit“. Da in den letzten drei Wochen der Englischlehrer der Klassen sieben und acht krank war, wurde ich kurzerhand als Vertretung eingestellt. Auch wenn ich bis vor vier Monaten selbst noch in einem Klassenzimmer als Schülerin saß und bei meiner Unterrichtsvorbereitung an Professionalität noch Luft nach oben ist, macht mir die neue Erfahrung des Unterrichtens sehr viel Spaß. Im weiteren Verlauf meines Tages habe ich um zehn Uhr eine Stunde Khmer-Unterricht bei meiner Kollegin Sophy. Sie hilft mir sehr, meine Aussprache zu verbessern und meinen begrenzten Wortschatz zu erweitern, auch wenn wir uns gerne mit Quatschen ablenken und nie eine Stunde konsequent durcharbeiten… Gegen elf Uhr gehe ich dann meistens zu der „Mensa“ der Schule, wo die Schüler:innen der Grundschule essen. Es ist wirklich eines meiner Tageshighlights, Zeit mit den Kindern zu verbringen, während diese auf das Mittagessen warten. Die unzähligen Umarmungen, lustigen Klatsch-Spiele und einfach die große Anzahl an lachenden Gesichtern sind wunderbar, und hier wird das Marmeladenglas mit meinen Glücksmomenten immer weiter gefüllt. Nachdem auch ich dann zu Mittag gegessen habe, beginnt mein Unterricht in der vierten, fünften und sechsten Klasse. Hier unterstütze ich den Englischlehrer bei seiner Arbeit oder vertrete ihn ab und zu, wenn er nicht in der Schule ist. Mit den jüngeren Schüler:innen der Don Bosco-Schule zu arbeiten ist immer sehr lebendig, lustig und abwechslungsreich. Um 15:30 Uhr ist der Schultag dann zu Ende und ich begebe mich in die große „Study-Hall“ der Schule. Die Internatschüler:innen treffen sich hier, um Hausaufgaben zu erledigen, Spiele zu spielen und einfach gemeinsam Zeit zu verbringen. Hier setze ich mich zu ihnen und helfe, wo ich kann. Gerne machen wir kleine kreative Projekte, malen und basteln. Das Schöne ist auch, dass sich mein Khmer hier am meisten verbessert. Die Kinder sind wirklich die besten „Lehrer:innen“ und mittlerweile klappt das Unterhalten echt ganz gut. Nachdem der Rest des Nachmittags mit verschiedenen Sportarten, wie Volley-, Fußball- oder Basketball, verbracht wird, geht es für mich um 18:00 Uhr wieder in die Kapelle der Schule. Hier findet das Abendgebet mit anschließender Meditation statt. Die Zeit der Ruhe genieße ich und nutze sie, um die vielen neuen Begegnungen, Erfahrungen und schönen Momente des Tages Revue passieren zu lassen. Im Anschluss essen wir gemeinsam Abend. Ich habe im letzten Blogeintrag erwähnt, das kambodschanische Essen sei nicht allzu scharf, was größtenteils auch stimmt, was ich aber vergessen habe zu berichten: Nahezu alle meine Mitbewohner kommen aus Südkorea, und ja, dort isst man scharf – sehr scharf. Meine tägliche Ernährung besteht also nicht nur aus kambodschanischen, sondern auch koreanischen Gerichten. Nahezu alles, was unsere Köchin „Ma Poan“ kocht, schmeckt herrlich und meine Toleranz für Schärfe nimmt stetig zu. Sister Ruah hat es sich zusätzlich zum persönlichen Ziel gemacht, dass ich nach meinem FIJ perfekt mit Stäbchen essen kann. Somit durfte ich neulich mittags kleine (sehr rutschige) Bohnen mit den Stäbchen von einem Teller in einen anderen befördern – eine sehr lustige Erfahrung, wenn man von meiner mangelden Geduld für die Aufgabe absieht… Aber nun weiter mit meinem Tagesablauf: Jeden Abend findet hier in der Schule der „Good Night-Talk“ mit den Internatsschüler:innen statt. Hier werden zuerst ein paar Lieder gesungen, dann gemeinsam ein Abendgebet gesprochen und schlussendlich hält ein:e Lehrer:in oder einer der Fathers einen kurzen „Moral-Talk“. Danach geht es dann für die jüngeren Schüler:innen ins Bett und für die älteren nochmal in die Study-Hall. Abends falle ich immer totmüde, aber mit einem Lächeln im Gesicht ins Bett. Auch wenn die Tage anstrengend sein können, genieße ich das bunte Durcheinander an Eindrücken aller Art sehr.
Trotzdem möchte ich in diesem Blogartikel erwähnen, dass ich durch meine Arbeit auch mit extremen Armutsverhältnissen, Kinderarbeit, Menschenhandel und schwierigen Familiensituationen konfrontiert werde. Viele Eindrücke in die Lebenssituationen der Schüler:innen bekam ich besonders, als ich in den letzten Wochen bei einigen Hausbesuchen der Familien dieser dabei war. Erst hierdurch habe ich so richtig verstanden, wie ein Leben, geprägt von extremer Armut und dem Mangel an materieller Grundversorgung aussieht. Trotz sehr schwieriger Lebenssituationen fällt mir aber auf, wie unfassbar großzügig und überaus freundlich die Menschen sind. Mich machen diese Begegnungen und Einblicke immer sehr nachdenklich, aber ich schätze es sehr, dass sie mein Bewusstsein für Dinge und Menschen positiv verändern. Ich verstehe vieles an der Schule und besonders im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen besser und bin umso dankbarer, dass die Kinder und Jugendlichen eine Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen und zu lernen. Besonders die jüngeren Schüler:innen können hier einfach „Kind sein“ und sich frei entfalten.
Aber auch neben meinem Alltag in der Schule habe ich in den letzten Wochen viele neue Erfahrungen machen dürfen. Ein besonderes Erlebnis beispielsweise war die Klassenfahrt mit der neunten Klasse der „Don Bosco Academic and Technical Highschool“ nach Mondulkiri. Die Provinz im Osten Kambodschas, welche an der vietnamesischen Grenze liegt, ist bekannt für ihre wunderschöne Natur. Großflächige Urwälder, durchzogen von Hügeln mit malerischen Aussichen und atemberaubenden Wasserfällen. Während dieses Trips durfte ich ganz viele neue Dinge sehen, erleben und genießen. Belebte Märkte mit unglaublich leckerem Streetfood, Busfahrten mit typischer Khmer-Musik und Karaoke sowie tolle Gespräche mit Schüler:innen und Lehrer:innen. Die Tage waren wirklich ein Highlight und reich an vielen neuen Erlebnissen.
Ende September haben an der „Technical and Academic Highschool“ die fünfwöchigen Ferien begonnen und es wurde ganz ungewohnt still auf dem Campus. Da ich ohne die Anwesenheit der Schüler:innen keine besonderen Aufgaben habe, verbringe ich meine Ferien außerhalb der Schule. Zuerst lebe ich für knapp zwei Wochen bei meiner Kollegin Sophy und ihrer Familie und im Anschluss bin ich dann für drei Wochen in Phnom Penh an der „Don Bosco Technical Highschool“. Die Zeit bei Sophy ist wunderbar und ermöglicht mir ganz besondere Eindrücke in das Leben einer kambodschanischen Familie. Da Sophy sechs ältere Geschwister hat, mit 20 Jahren schon achtfache Tante ist und ihre ganze Familie verteilt in dem kleinen Dorf Souriya lebt, ist immer einiges los in ihrem Elternhaus. Wir verbingen viel Zeit mit ihren Nichten und Neffen oder treffen Freund:innen von Sophy. Besonders gefällt mir, dass sich ein Großteil des Lebens „draußen“ abspielt. So kochen wir gemeinsam in der halboffenen Küche, essen inmitten von grüner Natur und halten unser Mittagsschläfchen in Hängematten unter Bananenpflanzen und Palmen. Direkt hinter dem Haus von Sophys Familie befindet sich zudem ein See, an dem man perfekte Sonnenuntergänge bewundern kann. Kleine Streetfood-Stände direkt am Wasser untermalen das gemeinsame Zusammensitzen mit leckeren Snacks der kambodschanischen Küche. Sophy ist es super wichtig, dass ich während unserer gemeinsamen Zeit so viele neue Erlebnisse und Erfahrungen wie möglich mache. So unternehmen wir viel, ich lerne neue Menschen kennen und immer, wenn sie mir unerwartet eine neue kambodschanische Spezialität vor die Nase stellt, zwinkert sie mir zu und sagt nur: „A new experience for you“. Das mit den vielen neuen Erfahrungen ist mittlerweile eine Art „Running-Gag“ zwischen uns geworden und ich bin sehr dankbar, dass sie mir das alles ermöglicht. Ein zusätzliches Highlight meines Aufenthalts ist das „Pchum Ben Fest“, ein 15-tägiges buddhistisches Fest, um der Toten zu gedenken. Die Menschen glauben, dass die Seelen ihrer verstorbenen Angehörigen „hungrig“ sind, weshalb sie Gaben in die umliegenden Tempel bringen und für das Seelenheil der Verstorbenen beten. Ich durfte „Pchum Ben“ in den letzten Tagen, zusammen mit Sophys Familie, hautnah erleben. Die Tempelbesuche und Zeremonien sind wirklich etwas ganz Besonderes und es ist super spannend, auch mal in eine andere Religion einzutauchen.
Auch wenn ich nun schon seit einiger Zeit in Kambodscha bin und es Dinge gibt, die schon zu einer Art „Normalität“ geworden sind, gibt es noch so viel Neues zu sehen und entdecken. Ich genieße die Zeit hier in vollen Zügen und bin sehr glücklich, in den letzten Wochen so viele neue Einblicke in Land und Kultur bekommen zu haben.
Was mich in den nächsten Wochen in Phnom Penh so erwartet, erzähle ich ein anderes Mal… Mit diesen Worten verabschiede ich mich, trinke meine selbstgeerntete Kokosnuss aus Sophys Garten fertig und hoffe sehr, ihr konntet einen weiteren Einblick in mein Leben hier bekommen.
Bis zum nächsten Mal, eure Ida!
Hallo, Ida, danke für Deine lebendigen Schilderungen! Bist Du einverstanden, wenn ich hie und da ein Foto aus einem Deiner Berichte auf die Homepage der Pfarrei stelle zusammen mit dem Link auf Deinen Blog?
Liebe Grüße und noch viele „New Experiences“ –
Horst (Pleyer)