Colmados, Plátanos, Chichiguas und ganz viel Musik

Hola, ¿klk? [keloké]

Nachdem nun schon fast 6 Monaten meines Freiwilligendienstes hier in der Dominikanischen Republik vergangen sind, wird es allerhöchste Zeit, euch von meinen bisherigen Erlebnissen zu erzählen und von meinem Alltag zu berichten, in dem sich so viel verändert hat. Naja, meine Pünktlichkeit gehört wohl ganz offensichtlich nicht dazu. Wie gut nur, dass sich das nicht allzu schlecht mit dem dominikanischen Lebensstil vereinbaren lässt. Aber jetzt erst einmal der Reihe nach.

 

1) Was ich eigentlich den ganzen Tag über so mache

Unter der Woche beginnt mein Alltag irgendwann zwischen 6 und 8 Uhr morgens – ganz davon abhängig, welche Laune der Hahn meines Nachbars hat und für welche Route sich der Avocadohändler entscheidet. Wenn ich mich dann gegen halb neun auf den Weg zu meiner Arbeitsstelle, der Estancia infantil „La Amistad“ (= die Freundschaft) mache, ist die Stadt natürlich schon hellwach. Eigentlich ist mir auch kein Zeitpunkt bewusst, an dem hier überhaupt mal Ruhe einkehrt. Die Reguetón- und Bachata-Musik der Nacht geht fast nahtlos in das rege morgendliche Treiben über: An den Straßenrändern wird von Yuka (Maniokwurzel) über Arrepa (eine Art Kuchen, meist aus Mais- und Kokosnussmehl) bis hin zu Plátanos (Kochbananen) als Tostones“ (frittiert) oder als Mangú“ (Püree) jegliche dominikanische Frühstücksvariation zubereitet, die Obstverkäufer rufen ihr Angebot aus und aus den Colmados (Kiosks, die es hier in jeder Straße gibt) hört man laute Stimmen morgendlicher Nachbarschafts- und Wer-sonst-noch-so-vorbeikommt-Treffen. Zum Straßenbild unverwechselbar dazu gehören natürlich auch noch die Motorräder, die pasolas“. Ich habe schnell gelernt, dass es auch für eine fünfköpfige Familie keine größere Schwierigkeit darstellt, sich auf einem Motorrad fortzubewegen. Wenn ich auf meinem Arbeitsweg irgendwann von irgendwoher ein Vámonos Maja“ höre, stammt das meistens von einer Arbeitskollegin, die auch für mich noch einen Platz auf ihrem Motorrad frei hat und so lieb ist, mich mit zur Estancia zu nehmen.

 

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Die Estancia infantil betreut knapp 200 Kinder im Alter von wenigen Wochen bis zu fünf Jahren. Meine Aufgabe ist die Durchführung eines Sportprogramms für die Kinder und seit ein paar Wochen leite ich auch den Computerunterricht für die Ältesten. Besonders die Vorschulkinder, mit denen ich die meiste Zeit verbringe, sind mir schon sehr ans Herz gewachsen. Gemeinsam spielen wir Fußball, tanzen und singen und die Kinder stellen mir ganz viele Fragen: Tía Maja, (die Erzieherinnen und Mitarbeiterinnen werden tía“ also Tante“ genannt) warum hast du blaue Augen? Wie werden wir so groß wie du?“- Tja, da habe ich auch nicht immer eine Antwort parat.

 

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Zu Anfang hat mich besonders berührt, wie jung viele der Eltern und insbesondere der Mütter sind, die ihre Kinder in die Estancia bringen. Meine Mentorin Rosa erzählte mir daraufhin, dass viele Dominikanerinnen schon im Alter von 13 und 14 Jahren heiraten würden (keine legale/offizielle Heirat, aber man zieht zusammen) und das ganz große Problem sei, dass sexuelle Aufklärung gerade in Schulen nicht stattfände und ein Tabuthema sei. Viele Frauen/Mädchen werden schon im Teenageralter schwanger und ziehen ihre Kinder auch häufig alleine groß – im Land gibt es eine hohe Anzahl an alleinerziehenden Müttern. Die Estancia unterstützt die Eltern und eben besonders diese Mütter und ermöglicht ihnen regelmäßig arbeiten zu gehen. Die Kinder werden ganztägig betreut, erhalten warme Mahlzeiten und ihr Gesundheitszustand wird durch eine Krankenschwester überwacht. Meine Mentorin begleitet die Kinder sowie ihr familiäres Umfeld als Psychologin. In Zusammenarbeit mit der Bildungs- und der Entwicklungskoordinatorin werden Workshops zur Kindererziehung und Betreuung für die Eltern geplant, sowie regelmäßig Hausbesuche durchgeführt, um zu überprüfen, ob die Kinder in einem sicheren Umfeld aufwachsen können und sie Zugang zu all dem, was grundlegend wichtig ist, haben. Auch die Kinder selbst sollen wissen, dass sie ein Recht darauf haben, vor Gewalt und Missbrauch beschützt aufzuwachsen, gesund zu leben, zu lernen und zu spielen. Im Monat April, der unter dem Zeichen der Prävention des Kindesmissbrauchs stand, wurde mit ihnen daher viel über ihre eigenen Rechte gesprochen.

 

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Einen Teil meines Arbeitstags arbeite ich mit den Bildungskoordinatorinnen zusammen. Ich unterstütze bei der Computerarbeit und helfe bei der Vorbereitung von Aktivitäten für die Kinder. Nachdem in der vergangenen Woche der Tag des Roten Kreuzes und der Tag der Krankenschwester gefeiert wurde, steht in dieser Woche der día del agricultor“ (= Tag des/der Landwirt*in) an. Also freut euch auf ein baldiges Update, wie es mit mir und meinen, unter wenig künstlerischem Talent, aber dafür mit umso größerem Einsatz gebastelten Maispflanzen gelaufen ist.

 

2) Was es alles zu feiern gibt

Die vielen Aktions- und Thementage in der Estancia sind aber nicht die einzigen Festlichkeiten, die ich während meiner Zeit hier bereits miterleben durfte. Denn gefeiert – das wird nicht gerade wenig. Als ich Anfang Dezember ankam, liefen die Weihnachtsvorbereitungen natürlich bereits auf Hochtouren. Alle Häuser wurden mit reichlich Deko bunt geschmückt und zu meiner Verwunderung sparte man trotz Temperaturen bis an die dreißig Grad nicht daran, Pinguine mit Weihnachtsmützen, Schneemänner und Schlittschuhläufer aufzustellen. Ja, wir mögen halt Schneemänner“ meinte meine 8-jährige Gastcousine auf meine Reaktion hin empört – okay, fair enough. Die Weihnachtsfeierlichkeiten gestalteten sich ebenso bunt und vor allem laut, mit viel Musik und Tanz. Getanzt und gehört wird hier vor allem Merengue und Bachata, die beiden traditionell dominikanischen Musik- und Tanzrichtungen, aber auch Salsa. Der Eifer hat auch mich schnell gepackt und so nehme ich nun schon seit einigen Monaten zweimal die Woche an einem Bachatakurs teil.

Wer jetzt denkt, dass nach Weihnachten und Neujahr erst einmal Ruhe einkehrte, der kennt die Dominikaner*innen nicht. San Valentín wurde groß als Dia del amor y de la amistad“ (= Tag der Liebe und Freundschaft) gefeiert und ich war sehr froh, dass ich den Tipp ein rotes T-Shirt anzuziehen am Ende doch noch ernst genommen habe, als ich merkte, dass diesen Dresscode wohl so ziemlich alle Dominikaner*innen beherzigen. Der Februar brachte aber nicht nur Liebe, sondern leitete als Monat de la patria“ vor allem eines ein: den dominikanischen Karneval. Im Parque Duarte, dem zentralen Platz in Bonao, fanden von Anfang Februar bis Mitte März jeden Sonntag Aufführungen und Paraden“ verschiedener Gruppen in aufwendigen Kostümierungen statt und auf den Straßen wurde bis spät in die Nacht gefeiert. Mit meiner Gastschwester Coralba fuhr ich am letzten Februarwochenende zum Karneval in die Hauptstadt Santo Domingo. Dort fand eine riesige Parade statt, in der die Karnevalsparaden aller größeren Städte des Landes vertreten waren. Der dominikanische Karneval ist bunt und traditionell und ein großer Teil der Kultur und Identität des Landes. Das liegt auch daran, dass in dieser Karnevalszeit der bedeutendste Nationalfeiertag der Republik ansteht: der Dominikanische Unabhängigkeitstag (27. Februar). Im Projekt wurde dieser Tag mit von den Kindern einstudierten Tänzen, Liedern, Rollenspielen und Präsentationen groß gefeiert.

 

Am dominikanischen Unabhängigkeitstag tanzen die Kinder den Nationaltanz Merengue

 

Ihr fragt euch, wie Karneval, Nationalfeierlichkeiten und zuletzt natürlich auch Frühlingsfeste mit dem Beginn der Fastenzeit zu vereinbaren war? Nun, da gab es eine ganz pragmatische Lösung: Der Sonntag war für den Karneval und der Freitag für den Kreuzweg bestimmt. Besonders groß wurde der Kreuzweg am letzten Freitag vor der Semana Santa“ (= Karwoche) zelebriert: um fünf Uhr morgens lief ich mit meiner Gastmutter und tausend anderen hinauf in die Berge von Bonao. Diese Prozession mit viel Musik lief -ganz nach dominikanischer Art- laut und fröhlich ab.

Für die darauffolgende Semana Santa“ lud mich meine Arbeitsskollegin Ana Lia zu sich nach Hause ein. Sie wohnt in Piedra Blanca einem kleinen Dorf etwas außerhalb von Bonao. Schon im Vorhinein sagte sie mir: Maja, bei mir Zuhause ist es so, als hätte jemand Honig verteilt, die Leute kommen und dann kleben sie fest und können und wollen irgendwie nicht mehr gehen.“ Und so war es auch: Von früh morgens bis spät abends lernte ich ganz viele liebe neue Leute kennen. Menschen kamen zum Haareschneiden (Ana Lia hat einen kleinen Friseursalon im Vorraum ihres Hauses), zum Kaffee trinken und zum Habichuela con dulce“ essen. Habichuela con dulce“ ist ein süßes Bohnengericht, das hier traditionell in der Osterzeit gegessen wird und auch wenn ich eure skeptischen Blicke schon vor mir sehe, kann ich euch versichern, dass man nicht darüber urteilen kann, bevor man es – evtl. auch mehrmals- probiert hat, denn es ist wirklich lecker!

 

3) Und sonst so?

In den vergangenen Monaten ergab sich an den Wochenenden hin und wieder die Gelegenheit auch noch über Bonao hinaus ein bisschen mehr vom Land zu sehen. Mit meiner Gastschwester Coralba fuhr ich nach Samaná, einer Halbinsel im Norden der Dominikanischen Republik. Dort konnten wir Buckelwale beobachten, die sich im Frühjahr in der Bucht aufhalten und sind zu der kleinen Insel Cayo levantado“ gefahren. In der letzten Woche besuchte ich dann mit dem Padre der Gemeinde, zu der die Estancia gehört, und zwei anderen Jugendlichen Puerto Plata. Dort bestiegen wir (mit der Seilbahn ;)) den zweithöchsten Berg des Landes, den Isabel de Torres“.

 

Blick auf Puerto Plata vom Isabel de Torres“

 

In Bonao besuche ich am Wochenende häufig Arbeitskolleginnen und Freunde, helfe meiner Gastschwester in ihrem Kleidungsgeschäft oder begleite meine Gastmutter zu ihrer Arbeit. Jeden Samstag gibt meine Gastmutter einer Gruppe Haitianer*innen Spanischunterricht. Die Immigration der Haitianer*innen in die Dominikanische Republik ist enorm, denn die Lage in Haiti ist schrecklich. Aufgrund von Bandenkriminalität und -terror, extremer Armut, den Folgen schwerer Erdbeben und Cholera flüchten schon seit Jahrzehnten viele Haitianer*innen aus ihrem Land. Geschätzt wird, dass mittlerweile weit mehr als eine Million Haitianer*innen hier in der Dominikanischen Republik leben (ca. 11,7 Einwohner) – ein großer Teil ohne Papiere. Viele arbeiten als Straßenverkäufer, auf dem Bau oder auf Plantagen und tragen die dominikanische Wirtschaft somit zu einem großen Teil mit. Mich hat sehr mitgenommen zu erfahren und auch im Alltag zu spüren, wie extrem gespannt und konfliktreich das Verhältnis zwischen der dominikanischen und haitianischen Bevölkerung zum Teil ist. Die schwierige Beziehung ist tief in der Geschichte der beiden Länder verwurzelt und scheint sich aktuell angesichts der hohen Immigrationsrate der Haitianer*innen und auch der Handlung der dominikanischen Regierung, die trotz der aktuell eskalierenden Notsituation in Haiti, Haitianer*innen zurück über die Grenze deportiert, auch alles andere als zu verbessern. Doch gerade daher finde ich es so schön und ermutigend zu erleben, wie herzlich und gemeinschaftlich die Atmosphäre im Unterrichtskurs meiner Gastmutter ist. Es wird nicht nur gelernt und beigebracht, sondern auch zusammen gefrühstückt und gebetet – manchmal sogar auf Französisch bzw. auf Kreolisch (Haitianisch).

 

4) Fremdsein ist auch manchmal schwer

Zuletzt möchte ich euch noch von meinem Zwischenseminar Ende März in Santo Domingo erzählen. Dort hatte ich die Möglichkeit, einige andere deutsche Freiwillige kennenzulernen und gemeinsam mit ihnen das Kinderhilfswerk „Dominiño“ zu besuchen. In San Louis, einem Randviertel von Santo Domingo, unterstützt das Hilfswerk in verschiedenen Projekten und Einrichtung bedürftige Kinder und Jugendliche, die in großer Armut leben. Wir besuchten den Kindergarten von Dominiño, die Jugendlichen zeigten uns wie man „Chichiguas“ (dominikanische Drachen, die hauptsächlich aus recycelten Material gebaut werden) bastelt und brachten uns im Skateprojekt „San Skate“, das von meiner Seminarleiterin und ihrem Mann gegründet wurde, das Skaten bei. Ich fand es unglaublich berührend, wie stark die Kinder und Jugendlichen sind und es war schön zu erleben, wie viel Freude und Leidenschaft sie für das Skaten haben und wie ihnen das ein kleines Stückchen Unbeschwertheit ermöglicht.

 

Zu Besuch im Skateprojekt San Skate“

 

Natürlich war das Zwischenseminar aber auch vor allem eines: die Möglichkeit, die vergangenen Monate einmal in Ruhe zu reflektieren. Ich habe euch bisher größtenteils von spannenden und schönen Erlebnissen berichtet, doch gerade in den ersten Monaten gab es auch viele Momente, die für mich nicht einfach waren. Momente, in denen ich mir überflüssig und unnötig vorkam und Augenblicke, in denen Verhaltensweisen und Handlungen anderer mich verunsicherten und mir das Gefühl gaben, irgendwie nicht willkommen zu sein. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich mich von den Leuten entferne, denen und deren Kultur ich doch eigentlich näher kommen will. Eines ist es auf jeden Fall, was ich in den letzten Monaten lernen konnte: Was es eigentlich heißt sich zu „integrieren“, wie viel Zeit und Durchhaltevermögen es braucht und wie viel Kraft es manchmal kostet. Ich glaube, ich habe auch jetzt erst so richtig verstanden, was eigentlich damit gemeint ist, dass der Freiwilligendienst ein Lerndienst ist. Er umfasst nicht nur, eine neue Kultur kennenzulernen, sondern auch viel über sich selbst zu lernen, vor allem darüber, was einen selbst herausfordert und womit man Schwierigkeiten hat.

 

Ich bin gespannt, was mich in den nächsten Wochen noch erwartet und freue mich darauf, euch dann davon zu berichten. Also bis zum nächsten -hoffentlich etwas pünktlicheren- Blogeintrag! – oder wie die Dominikaner*innen sagen würden:

– „Nos vemos“ (= wir sehen uns)

– „Si Dios quiere“ (= wenn Gott will)

Eure Maja