Wenn Welten kollidieren

„Ich komme mir hier vor wie eine Schwerverbrecherin!“

 

Das ist einer der Gedanken, die ich während meines Fluges nach Kambodscha hatte. Hauptverantwortliche waren dafür die gefühlt dutzenden Sicherheitskontrollen, die meine Mitfreiwillige Ida und ich nicht nur in Frankfurt am Main, sondern auch bei unseren Zwischenstopps in Dubai und Singapur erdulden mussten. Wir beide gehören nicht zu den Flug erprobtesten Menschen, daher war der Flug begleitet von viel Nervosität, Angst, Aufregung und Vorfreude. Wobei selbst, wenn wir beide die absoluten Routine Fliegerinnen wären, würde es auf diesen Gefühlscocktail wohl hinauslaufen, schließlich waren wir auf dem Weg in unser Freiwilliges Jahr nach Kambodscha. Ein Jahr auf das wir beide uns seit Februar vorbereiten hatten und das seit dem auch meine Standard Antwort auf die Frage: Was machst du nach dem Abi? geworden ist. Jetzt wurde aus dieser Antwort plötzlich Realität.

Bevor es damit jedoch los gehen konnte, mussten wir am Flughafen erstmal unser Visa bestätigen lassen, keine so leichte Aufgabe in dem Chaos aus Ankommenden, Abreisenden und unsere Koffer mussten wir dann ja auch noch finden. Die sind glücklicherweise mit uns in Phenom Phen, der Hauptstadt Kambodschas, angekommen.

 

Nachdem diese Hürde genommen war, wurden wir am Ausgang herzlich von der niederländischen Freiwilligen Lianne und einem der Lehrer der Don Bosco Technical Highschool in Empfang genommen. Lianne selbst hatte bereits ein Jahr in Kambodscha, an einer Don Bosco Schule in einer anderen Stadt verbracht und ist inzwischen in die Niederlande zurück gekehrt. Bevor ich jetzt aber weiter mit Städte Namen, Titeln, Schulen oder  Personen herumwerfe, versuche ich erstmal zu erklären, was eine Don Bosco Schule ist und wie sie funktioniert. (Letzteres versuche ich selbst noch in Gänze zu verstehen, daher bürge ich an dieser Stelle nicht für Vollständigkeit.)

Zuallererst einmal Giovanni oder auch John Bosco war ein katholischer Priester der während des 19. Jahrhunderts lebte und sich mit der gewaltfreien Erziehung von Kindern beschäftigte. Er gründete einen Orden und viele Institutionen Weltweit sind nach ihm benannt, so auch die Don Bosco Schulen in Kambodscha. Es gibt mehrere, eine in der Hauptstadt, eine andere in Poipet und wieder eine andere in Kep. Letzteres ist auch die Einsatzstelle in der ich jetzt bin. Alle Schulen haben Einzigartigkeiten und Schüler:innen in verschiedenen Altersklassen. Die Schulen werden von katholischen Priestern, Ordensschwestern und Ordensbrüdern verwaltet, welche aus aller Welt kommen. Sie werden hier mit dem Titel Father, Sister oder Brother angesprochen. Die Lehrer:innen und befremdlicherweise auch ich als Freiwillige werde mit „Teacher“ angesprochen.

In Phenom Phen lebten das letzte Jahr drei Französische Freiwillige, zwei angehende Priester, die auch noch ein Jahr in Kambodscha bleiben und ein ausgebildeter Ingenieur. Es ist beeindruckend und zugleich etwas einschüchternd, wie gut die drei bereits Khmer, die Landessprache neben Englisch sprechen. Sie haben uns am Anfang ein paar der Schüler:innen vorgestellt, uns gezeigt wo wir in der Stadt westlich essen gehen können, falls wir mal Heimweh nach essen haben (ja sowas gibt’s) und uns viele Fragen beantwortet. Auf dieser Weise war es gleich viel einfacher mit den Schüler:innen in Kontakt zu kommen und nach ein paar Tagen war es fester Bestandteil meines abends mit ein paar Schüler:innen Federball oder Tischtennis zu spielen. Dennoch habe ich mich irgendwie die ersten zwei Wochen in Phenom Phen  wie eine Touristin gefühlt, da wir dort keine richtigen Aufgaben hatten und alle uns dazu ermutigt haben Sight Seeing in der Stadt zu machen. Besonders enthusiastisch an dieser Stelle war eine Gruppe von Frauen, die Plus-Minus unser alter hatten und in der Verwaltung der Schule arbeiten. Wir wurden mit offenen armen bei ihnen aufgenommen und mit Vorschlägen fürs Sight Seeing eingedeckt. Mir wird beim Gedanken immer noch warm ums Herz, da es mich sehr berührt wie liebenswürdig hier alle sind.

Eine von Ihnen hat uns abends durch die Hauptstadt geführt und uns den Palast, und einen Night Market gezeigt, letzteres ist eine Mischung aus Wochenmarkt, Flohmarkt und Mini Konzert. Ich bin aus dem Staunen über die neuen Gerüche, den prunkvollen Palast sowie die energetischen aufgeweckten Menschen gar nicht mehr raus gekommen.

Der Palast

Wie sich später herausstellte war es aber auch ganz gut, dass wir in Begleitung von Locals waren, die uns im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand nahmen. Das ist hier ein Zeichen von Freundschaft unter gleichgeschlechtlichen, darüberhinaus diente es auch unserer Sicherheit, da der Verkehr in Kambodscha wesentlich chaotischer ist und zumindest meine Wahrnehmung anfangs absolut gesprengt hat. (Stellt euch das wie Auto fahren mit nicht einem, sondern drei toten Winkeln vor.)   Das ist auch der Grund, wieso wir hier selbst kein Auto oder Roller fahren dürfen, sondern immer Tuck Tuck fahren. Das sind dreirädrige sehr knuffige Taxis, die mit einer App bestellt werden können.

An unserem ersten Wochenende wurde dann der Geburtstag von den Schüler:innnen gefeiert die im August Geburtstag hatten. Dazu wurde den ganzen Tag geschmückt und für den Abend gekocht. Dabei durfte ich selbst einmal am Herd stehen und mit der Anleitung einer der Brothers mein Glück versuchen. Das Gericht, das für alle Schüler:innen gekocht wurde, hat ungefähr die Form und Konsistenz von Crep, zudem schmeckt es unglaublich gut. Jedoch erfordert es sehr viel Fingerspitzengefühl es aus der Pfanne zu holen ohne es zu zerreißen. (Ich war daher auch nicht wenig Stolz als es mir beim zweiten Mal gelang.) Am gleichen Abend wurden Ida und ich auch in die Kunst der traditionellen kambodschanischen Tänze eingeführt. Die Schüler:innen erwiesen sich als sehr enthusiastische Lehrer:innen und meine Hand-Fuß Koordination als ausbaufähig.

Nach zwei Wochen hieß es für uns dann erneut Abschied nehmen. Ida ist in Begleitung einer Mitarbeiterin zu ihrer Einsatzstelle nach Poipet aufgebrochen und ich einen Tag später, ebenfalls in Begleitung einer Mitarbeiterin nach Kep. Wenn ich ganz ehrlich bin war es schon ein wenig traurig die Hauptstadt zu verlassen, besonders da ich so langsam das Gefühl kriegte, mit den Menschen vor Ort warm zu werden zumal  auch die Schüler:innen immer offener wurden. Außerdem hatten Ida und ich die letzten zwei Wochen fast dauerhaft zusammen verbracht und es war sehr seltsam für mich nun ohne Sie weiterzureisen. Gleichzeitig habe ich mich aber unglaublich auf Kep gefreut, wo es schließlich auch viel zu entdecken gibt und mich die Schüler:innen sehr lieb aufgenommen haben.

 

Am Abend meiner Ankunft hat mich Father Albeiro, welcher die Schule hier leitet und ursprünglich aus Kolumbien kommt, in der Messe und beim Good Night Talk kurz vorgestellt. Beide  Male sind besonders die kleineren Schüler:innen auf mich zugekommen und haben mich persönlich begrüßt. Ach bevor ich es vergesse, der Good Night Talk ist ein abendliches Ritual, der aus einem kurzen Gebet sowie eine paar Worten des Fathers über aktuelle Themen besteht. Neben dem Father gibt es drei Sisters: meine Mentorin Sister Maria, Sister Juanita, beide stammen aus Mexico und Sister Milli aus Peru. Genau wie der Father leben sie schon seit vielen Jahren in Kambodscha und sprechen neben Englisch und Spanisch auch Khmer.  Alle drei Sisters geben sich sehr viel Mühe mich zu integrieren, mir bei Fragen weiterzuhelfen und sorgen dafür, dass ich mich willkommen fühle. Eine der ersten Sachen, die sie mir zum Beispiel sagten ist, wenn ich ein bestimmtes deutsches Gericht vermisse und dieses backen oder kochen möchte, dann müsste ich nur Bescheid sagen und sie würden dann schauen wie sich das umsetzen lässt.

Darüber hinaus  könnte die Schule auch eine Kulisse für eine Netflix Serie mit Internat und Strand Feeling sein. Acht Minuten vom Eingangstor liegt der Strand mit Muscheln, vielen grünen Flecken, aber leider auch viel Plastik Müll. Dennoch macht es viel Spaß mit den jüngeren Schüler:innen ins Wasser zu gehen, in den Wellen zu spielen und Wasserschlachten zu bestreiten. Jedoch muss ich mich erst daran gewöhnen, dass hier in Kleidung geschwommen wird. Das Positive ist, Strandausflüge sind so viel unkomplizierter und spontaner möglich. Auch von Innen ist die Schule ein grüner Traum. Überall wachsen Pflanzen, es gibt einen riesigen überdachten Sportplatz und viele versteckte Abkürzungen um überall hinzukommen.

Der Ausblick vom Strand

Im Moment verbringe ich den Großteil meiner Arbeitszeit in der Bücherei. Ein mittelgroßer Raum, mit hellblauen Wänden, wo eine Wand mit Regalen voller Bücher und Spielen steht. Gegenüber der Tür hängt ein kleiner Fernseher und der Boden ist mit Teppichen ausgestattet. Nebenan liegt ein Computerraum und ein Klassenzimmer, wo die beiden Lehrer:innen, die für die jüngeren Schüler:innen verantwortlich sind, oft sitzen. Zurzeit geht es hier etwas entspannter zu, da die älteren Schüler:innen bereits Ferien haben und die jüngeren bald folgen. Daher ist die Atmosphäre hier im Moment, zumindest bei den jüngeren weniger durch lernen geprägt, sondern eher durch spielen, basteln und Sport machen. Neben Federball und Volleyball spiele ich nun auch mindestens dreimal die Woche Monopoly, das Lieblingsspiel einiger Schüler:innen. Inzwischen machen wir auch öfter kleine Gruppenspiele. Zu Beginn des neuen Schuljahres, wenn ich mich etwas mehr eingewöhnt habe, werde ich dann auch bei dem Englischunterricht und der Hausaufgabenbetreuung helfen. Eine Aufgabe auf die ich mich schon sehr freue, da ich so dann auch etwas mehr aus dem Schulalltag der Schüler:innen sehe.

Aber wer ist hier überhaupt Schüler:in?

Obwohl die Schule nach einem Heiligen benannt ist und die religiösen Einflüsse durchaus bemerkbar sind, ist es keine Grundvoraussetzung zur Aufnahme, dass die Schüler:innen Katholik:innen sein müssen. Ganz im Gegenteil, Schüler:innen aller Glaubensrichtungen sind hier herzlich Willkommen. Trotzdem spielt der Katholizismus im Schulalltag eine Rolle. Vor dem Essen wird beispielsweise ein kurzes Gebet gesungen, wobei auch hier mansche Schüler:innen einfach nur ruhig dabei stehen und warten. Zudem kommen die jüngeren Schüler:innen jeden Abend mit in die Messe. Die ganze Messe ist auf Khmer, daher verstehe ich im Moment leider gar nichts. Es wird sehr viel gesungen, drei  Schüler:innen begleiten alles mit Instrumenten und die Messe ist mit ihren 30 Minuten auch angenehm kurz, sodass die Aufmerksamkeit nicht leidet.  Ganz im Gegenteil, ich bin immer wieder beeindruckt, von dem musikalischen Talent der Schüler:innen.

Grundsätzlich teilen sich die Schüler:innen in Border Students und nicht Border Students auf. Die Border Students leben auch auf den Schulgelände in extra für sie eingerichteten Häusern. Jungs und Mädchen leben in unterschiedlichen Häusern, darüberhinaus gibt es noch eine Trennung nach Alter. Im Moment sind die Schüler:innen des Children Fund zwischen 10 und 15 Jahren alt. Daher werden sie auch noch Nachts betreut. Die Jungs schlafen auf einer Art Bauernhof, wo zwei Lehrer:innen für sie verantwortlich sind und die Mädchen teilen sich mit den Sisters ein Haus, welches durch eine Glaswand in zwei Hälften geteilt ist. Dort schlafen auch noch die Mädchen die die Highschool besuchen und so ca. 17 Jahre alt sind.

Die Schüler:innen der Technical Highschool, sind alle 18 oder älter und schlafen in anderen Häusern. Das Prinzip der Technical Highschool ist mit dem Berufskolleg in Deutschland vergleichbar. Es gibt unterschiedliche Schwerpunkte, Departments genannt, die sich mit IT, Elektronik oder auch Social Media beschäftigen. Ein Abschlussprojekt der Schüler:innen war beispielsweise einen Film über Don Boscos Kindheit zu drehen. Die Schüler:innen des Children Fund durften dabei die Rollen der Kinder spielen. Dieser Film, sowie die Filme der letzten zwei Jahrgänge wurden Abends allen vorgespielt und die produzierenden Schüler:innen geehrt. Glücklicherweise hatte der Film auch Englische Untertitel, sodass ich es auch verstehen konnte.

Wie vielleicht schon an der ein oder anderen Stelle durchgeklungen ist, mache ich mit meinem Khmer nicht so große Fortschritte wie ich es mir wünschen würde. Viel Laute kann ich nicht richtig differenzieren oder korrekt Nachsprechen und durch den für mich ungewohnten Klang fällt es mir nicht leicht Vokabeln und Namen zu behalten. Die Schüler:innen sowie die Lehrer:innen  strengen sich sehr an mir die Sprache näher zu bringen und ermahnen mich auch gerne nicht so viel auf Englisch zu antworten, was dann meistens in einem Khmer Zeichensprache, Englisch Mischmasch endet.  Ich versuche solche Situationen mit Humor zu nehmen und nicht allzu frustriert über die Sprachbarriere zu sein, ehrlich gesagt klappt das mal mehr und mal weniger, aber auf jeden Fall übt es mich in Geduld.

Jedoch fühle ich mich manchmal als würde ich neben Khmer noch eine andere Fremdsprache lernen, wo niemand mir die Vokabeln sagt und die Grammatik aus  komplizierten und widersprüchlichen Gegensätzen zu bestehen scheint. In dieser Fremdsprache geht es um gesellschaftliche Codes, nonverbaler Kommunikation und was man wie oder eben wie auch nicht tut. Am Anfang hatte ich große Angst aufgrund von Unwissenheit unhöflich oder desinteressiert zu erscheinen. Es hat etwas gedauert bis ich nicht nur wusste das Fehler machen als Freiwillige normal ist, sondern das auch akzeptieren konnte. Hierbei ist super hilfreich, dass allen denen ich bis jetzt begegnet bin, mich mit einer netten Begrüßung und besonders einem Lächeln in Empfang genommen haben. Das war hier nicht nur an Tag Eins so, sondern ist einfach fester Bestandteil des Alltags.  Es macht den Tag schöner und das „neu sein“ leichter, da einem mit so viel Fröhlichkeit und guter Laune begegnet wird.

Ein Ausflug am Wochenende

Auch neu für mich ist das Pendeln zwischen Spontanität und einer salopp gesagten „Kommst-du-heute-nicht-kommst-du-morgen“ Flexibilität. Pläne werden hier gerne schnell verschoben oder komplett umgekrempelt. Für mich war das am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig, da ich besonders in den letzten zwei Jahren meiner Oberstufen Zeit in Deutschland nach einem enggetackteten  Terminkalender gelebt habe. Ich habe das zu der Zeit  nie hinterfragt, doch nzwischen mag ich diese Flexibilität, da sie viele zufällige Begegnungen ermöglicht. An einem Samstag klopfte es beispielsweise an meiner Tür, während ich den Anfang dieses Block Beitrags schrieb. Sister Milli stand vor der Tür und meinte sie würden jetzt mit den Kindern des Children Fund, den anderen Sisters und  Father Albero kurz einen Lehrer und seine Familie auf dem Land besuchen und ob ich nicht auch mitkommen wolle? Die Familie empfing uns sehr herzlich und tischte zum Lunch ordentlich auf, da Gastfreundschaft hier eine große Bedeutung hat. Aus diesem kurzen Besuch wurde ein sechs Stunden Ausflug, da wir anschließend noch eine Pagoda, dass ist ein Buddhistischer Tempel auf einem Berg, bbesuchten. Der besagte Berg war mit dem Auto nicht zu erreichen, sondern musste durch gefühlt tausend Treppen erklommen werden. Ich war dafür natürlich passend gekleidet in meinem langen Rock und kam mir auch überhaupt nicht alt vor, als die jüngeren Schüler:innen die Treppen Absätze hoch und runter rannten, ja rannten und einem erklärten wie weit es noch ist. Für den Ausblick hat es sich jedoch sehr gelohnt. Zumal die Lebensfreude und Energie der Kinder einfach ansteckend ist und die gute Laune einen von alleine mitreißt.

 

Nach einem Monat ist mein Fazit also: Geduld und Offenheit für Neues ist der Schlüssel.

Fehler machen ist normal und in Ordnung.

Es ist schon verrückt, wie intensiv, chaotisch und emotional im besten Sinne ein Monat sein kann und ich bin mehr als gespannt, was ich in meinem nächsten Blogbeitrag erzählen kann.