Un diciembre a la manera de Medellín
Es ist der 30. November, 23 Uhr. Aleja (bzw. Alejandra, meine Mitbewohnerin) und ich sind auf dem Motorrad auf dem Weg zu dem Haus ihrer Freund:innen, das ziemlich hoch in der Stadt liegt. Vorbei an den bunt blinkenden Lichtern, Plastikschneemännern und sonstiger Deko geht es über eine kurvenreiche Straße. Als wir am Ziel ankommen, läuft bereits Musik, der Lautstärkeregler auf Anschlag. Der große Topf wurde wieder rausgeholt und steht bereits auf offener Flamme. Darin kocht – Überraschung – Natilla. Diese wird abwechselnd mit maximalem Kraftaufwand so lange gerührt, bis die Augen vom Rauch rot sind und tränen. Es wird fleißig getanzt, und dann ist es auch schon 0 Uhr – der 1. Dezember hat soeben begonnen. Mittlerweile haben sich alle auf dem Balkon oder der Steinmauer eingefunden, um den besten Blick auf die Stadt zu haben – und der lohnt sich, denn das Feuerwerk ist überall und scheint kein Ende zu nehmen. Der Dezember wird feierlich willkommen geheißen. Während das Feuerwerk langsam ausklingt, ist die Natilla bereits fertig und wird auf Tellern ausgeteilt und gegessen, dazu gibt es selbstverständlich Buñuelo, diesmal (zu meiner Freude) ohne Käse.
Die nächste Woche ist voller Events, ob Aufführungen, Kommunionen, Schulabschlüsse oder generelle Abschlussveranstaltungen. Die großen Ferien haben in Kolumbien begonnen, und das Schuljahr endet zeitgleich mit dem Kalenderjahr. Auch das Programm mit den Schulkindern ist nun abgeschlossen, die Videos von mir sind fertig geschnitten, und auch unsere beiden kleinen Gruppen beenden das Projekt. Dazu gibt es – was auch sonst – Natilla. Während also fleißig gerührt wird, wird der Beamer herausgeholt, und die beiden Musikvideos werden stolz zum allerersten Mal von den Kindern angesehen. Ihre Augen leuchten, und bei einem Mal bleibt es natürlich keinesfalls. Satt und stolz geht es nun in die zweimonatigen Ferien.
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Aber an diesem Samstag ist nicht nur unser kleines Fest, nein. Zeitgleich findet der „Día de las Velitas“ (Tag der kleinen Kerzen) statt. Bereits die ganze Woche lang stand Medellín voller Wägen mitsamt den Verkäufer:innen. Diese Wägen waren gefüllt mit kleinen Paketchen voller bunter Kerzen.
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Mit dem 7. Dezember beginnt in Kolumbien offiziell die Weihnachtszeit, dazu werden Tausende kleiner Kerzen oder Laternen angezündet. Diese Lichter sollen der Jungfrau Maria den Weg weisen, damit sie das eigene Haus findet und dieses mitsamt der Familie segnet. Am darauffolgenden 8. Dezember ist der Tag der Unbefleckten Empfängnis, an dem abermals die Straßen vom Kerzenlicht beleuchtet werden.
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Zugegebenermaßen geht es wohl vorrangig um das Zusammensein mit der Familie oder mit Freund:innen und Nachbarn, da beide Abende (so wie auch die weiteren Feierlichkeiten) vor allem auf den Straßen stattfinden. Weil für mich nun, aufgrund der Ferien, keine weitere Notwendigkeit bestand, blieb ich nicht in Medellín, sondern reiste nach Ibagué, eine Stadt im Departamento Tolima. Dort besuchte ich zwei andere deutsche Freiwillige, die ich bereits in der Vorbereitung kennengelernt hatte. Mal wieder so richtig im Alltag Deutsch sprechen zu können, tat ehrlicherweise sehr gut. Die gut 11 Stunden Busfahrt je hin und zurück ließen sich dank der Szenerie, die ein Blick aus dem Fenster bot, erstaunlich gut ertragen und gingen schnell vorbei. Vorbei also an Kuhweiden, Avocado- und Mangobäumen, Monsteras – direkt durch die Anden.
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Zurück in Medellín standen noch kurz Übersetzungen und die Auswertungen des Kinderprogramms an. Dies hielt genau zwei Tage an, bis mir Alejandra – so wie immer – am Abend zuvor eröffnete, dass es für sie (und, wenn ich denn wolle, auch für mich) ans Meer ginge. Lange Überlegung brauchte ich da nicht. Am nächsten Tag saßen wir also mit ihren Freund:innen im Auto, und es ging los – selbstverständlich die obligatorischen drei Stunden zu spät – in Richtung Atlantik.
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Im Küstendorf Necoclí, recht nahe an Panama, kamen wir bei Bekannten von Aleja unter. Der Golfstrom machte den Ozean fast zu einer Badewanne. In der nächsten Woche sprach ich, glaube ich, überhaupt kein Wort Deutsch – dafür aber wirklich den kompletten Tag Spanisch. Langsam kann ich wirklich von einer deutlich spürbaren Verbesserung im Vergleich zum Anfang sprechen (nun sogar fließend auf Spanisch).
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Als Aleja und ich dann nach Medellín zurückkehrten, stand auch schon Weihnachten vor der Tür. Die Lichterketten und Beleuchtungen an und in den Häusern, Straßen und Geschäften – bei denen ich eigentlich schon im November dachte, dass es gar nicht noch mehr werden könnte – hatten sich schlicht nochmal vervierfacht. Ich glaube, zur Weihnachtszeit ist es unmöglich, in der Stadt nachts einen Ort in voller Dunkelheit zu finden.
Nun aber zum eigentlichen Weihnachtsfest. Während ich am Morgen noch das Geschenk für Aleja fertig machte, begann der Heiligabend erst gegen 22 Uhr – wir hatten zuvor kurz bei Alejas Familie vorbeigeschaut – und kochten gemeinsam. Um 12 Uhr nachts fand dann die Bescherung statt, bei der die Geschenke im Haus versteckt werden und von ihren Empfängern gefunden werden müssen. Vom Balkon aus kann man, so wie eigentlich jeden einzelnen Abend im Dezember, einem Feuerwerk zusehen. Am 24. fiel dieses natürlich deutlich exzessiver aus.
Man sollte meinen, der Heiligabend beschließe sich damit, doch das ist ganz und gar nicht der Fall. Für mich geht es mit Aleja auf dem Motorrad abermals zu ihrer Familie ins Stadtviertel „Manrique“ mit rund 170.000 Einwohnern. Dort wird getanzt, es gibt Aguardiente (einen Schnaps aus Zuckerrohr und Anis), Natilla und Buñuelos, außerdem wird gegrillt. Irgendwann gegen vier Uhr morgens wechseln Aleja und ich noch einmal den Ort der Feierlichkeiten und sind nun bei Freund:innen von ihr, in einem anderen Viertel Medellíns. Dieses Zusammentreffen mit den Familien und Freunden zieht sich bis weit in den Sonnenaufgang hinein, und gegen 7 Uhr morgens gibt es – aus einem riesigen Topf – Sancocho.
Als wir gegen 8 Uhr nach Hause kommen, bleibe ich nur noch ein bisschen länger wach, um auch ein kleines Stück des Weihnachtsfestes meiner Familie in Deutschland mitzubekommen. Danach verschlafe auch ich den größten Teil des 25. Dezember. Aber das ist kein Problem, denn die weiteren Feierlichkeiten beginnen abermals erst um 21 Uhr abends. Es geht auf ein Weihnachts-Salsa-Konzert.
Und damit endet mein kolumbianisches Weihnachten auch schon. Der 26. Dezember hat keine weitere Bedeutung, und für die meisten geht es zurück in den Alltag.
Zwischen den Jahren bekomme ich meinen ersten Besuch in Medellín. Eine andere Freiwillige kommt für eine Woche, und ich kann zum ersten Mal meinen Alltag der letzten sechs Monate auf Deutsch zeigen. Auch die touristischen Orte wie die Comuna 13 und der Plaza Botero dürfen dabei nicht fehlen.
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Ein weiteres Highlight des Dezembers sind die „Alumbrados Navideños de Medellín“. Diese bezeichnen die zusätzliche Weihnachtsbeleuchtung (also nicht die ohnehin umfangreiche der Privatpersonen), die jedes Jahr unter einem bestimmten Motto steht. Während das Thema im Jahr 2023 aus dem Disney-Film „Encanto“ bestand, wurde mir natürlich das spannendste Thema beschert – nämlich „Weihnachten“ …
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Ihren Höhepunkt haben die „Alumbrados“ auf einem etwa 700 Meter langen Abschnitt entlang und neben dem Río Medellín. In diesem abgesperrten Bereich kann man nachts einen Spaziergang entlang der Beleuchtung unternehmen.
Unser Silvester verläuft ähnlich wie das Weihnachtsfest. Um Mitternacht wird das Feuerwerk von unserem Balkon aus betrachtet, und dann geht es – wie immer mit dem Motorrad – zu Alejas Familie. Dort gibt es Essen in rauen Mengen: Kochbananen, Arepas, natürlich Fleisch und zum letzten Mal in diesem Jahr Natilla und Buñuelo. Die Feierlichkeiten auf den weißen Plastikstühlen, die an jeder Straßenecke stehen, ziehen sich bis weit in den Sonnenaufgang hinein. Für den Mittag ist wieder Sancocho angekündigt, doch aufgrund der allgegenwärtigen Erschöpfung fällt er aus. Am ersten Januar scheint Medellín zu schlafen – ich habe die Straßen noch nie so leer und ohne Verkehr gesehen.
Mit dem Dezember endet auch eine ganz besondere Zeit des Jahres, sowohl in Kolumbien bzw. Medellín im Allgemeinen als auch für mich. Das erste Mal verbrachte ich die Feiertage im Sommer, ohne meine Familie und alles in allem wirklich ganz anders. Für diese neue Erfahrung, die irgendwie im Vergleich zu all den neuen Erfahrungen bisher nochmal ganz neu war, bin ich unglaublich dankbar. Ich habe die kolumbianische Kultur nochmal auf eine ganz andere Art und Weise kennengelernt.
Der Abschied von meinem Besuch fällt knapp aus, denn das Wiedersehen folgt bereits beim kommenden Zwischenseminar, mit dem ich in das neue Jahr starte. Diese Woche voller Austausch über die vergangenen Erfahrungen markiert auch fast die Mitte meines Freiwilligenjahres. Mit zunehmend rennender Zeit fühlt sich das immer surrealer an.
Und deswegen widme ich mich nun genau dieser so schnell vergehenden Zeit, bis zum nächsten Mal!