Khmer New Year & Kultur im Koffer

Es ist schon wieder eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal geschrieben habe. Nicht etwa, weil es nichts zu erzählen gegeben hätte – im Gegenteil. Die letzten Wochen und Monate waren so voll, so lebendig, so intensiv, dass ich kaum dazu kam, innezuhalten und zurückzublicken. Gerade merke ich, wie schnell die Zeit vergeht: Mein Freiwilligendienst neigt sich langsam dem Ende zu, und ich möchte die verbleibende Zeit in vollen Zügen genießen. Ich bin so sehr im Hier und Jetzt, so tief eingetaucht in den Alltag und die Kultur, dass das Schreiben fast wie ein Zurückspulen wirkt – etwas, das ich manchmal scheue, obwohl es mir eigentlich sehr wichtig ist. Trotzdem möchte ich jetzt einen Moment innehalten und euch mitnehmen – zu einem der größten Feste Kambodschas: dem Khmer New Year. Auch wenn es schon eine Weile zurückliegt, war es ein Erlebnis, das ich mit euch teilen möchte. Für euch, die meinen Blog lesen – und vielleicht auch ein bisschen für mich selbst, um all das zu würdigen, was war. Denn der Koffer voller Eindrücke, Geschichten und kultureller Schätze ist wie immer gut gefüllt.

Traditionell markiert das Khmer New Year („Choul Chnam Thmey“) das Ende der Erntesaison und den Beginn des neuen Sonnenjahres in Kambodscha. Gefeiert wird Mitte April, wenn die Hitze am stärksten ist und das Land für ein paar Tage nahezu stillzustehen scheint. Familien kommen zusammen, viele Menschen reisen zurück in ihre Heimatdörfer, und der Alltag weicht traditionellen Ritualen, fröhlichem Miteinander und einer ganz besonderen Energie. Typisch ist der Besuch von Tempeln, das Darbringen von Opfergaben, Gebete und das symbolische Reinigen von Buddha-Statuen mit duftendem Wasser. Auf den Straßen wird gefeiert – mit Musik, Tanz, Wasser und weißem Puder: Rituale, die Freude bringen, das Alte abwaschen und Raum für Neues schaffen sollen.

Auch an der Don Bosco Schule wurde gefeiert – gleich zwei Tage lang. Am ersten Tag kochte jede Klassenstufe ein traditionelles Khmer-Gericht, das später in einem großen gemeinsamen Buffet zusammenkam. Gekocht wurde ganz anders, als ich es kannte: auf dem Boden sitzend, ohne Küchengeräte, nur mit Feuerstellen, frischen Zutaten und vielen helfenden Händen. Es war wuselig, laut, chaotisch – und einfach wunderbar. Diese gemeinschaftliche, lebendige Art zu kochen hat mich tief beeindruckt. Nach dem Essen kam das Highlight: Ein riesiges Feuerwehrauto fuhr auf den Schulhof – und löste eine ausgelassene Wasserschlacht aus. Es wurde getanzt, gesungen, gejubelt. Anfangs war mir das mit dem Wasser fremd – aber ich habe schnell verstanden, wie bedeutungsvoll es ist. Ein Fest voller Leichtigkeit, Gemeinschaft und Wärme.

Am zweiten Tag fand ein traditionelles Ritual an der großen Don Bosco Statue auf dem Schulgelände statt. Ich durfte – gemeinsam mit einigen Lehrerinnen – ein traditionelles Khmer-Gewand tragen: kunstvoll gearbeitet und farbenfroh. Ein Zeichen des Respekts gegenüber der Kultur meines Gastlandes. Das Ritual selbst war still, ehrwürdig und tief verankert in der Tradition. Zum Abschluss kamen alle Schüler*innen nacheinander zu uns Freiwilligen, zu den Lehrkräften und Fathers. Mit Wasser und Blütenblättern wuschen sie uns die Hände – verbunden mit einem Dank oder einem Wunsch. Dieser Moment voller Achtsamkeit und Verbundenheit hat mich tief berührt.

Dann begannen die zweiwöchigen Schulferien – und damit Zeit zum Durchatmen. Zu Beginn war es ruhig: Die Schule leer, der Alltag auf Pause, ein Moment der Entspannung. Zu den landesweiten Feiertagen habe ich mich mit meiner Mitfreiwilligen Jenny getroffen. Unser erster Stopp: Kampot, eine ruhige Kleinstadt im Süden Kambodschas – zwischen Fluss und Hügeln gelegen. Zwei entspannte Tage verbrachten wir dort: Märkte erkunden, gut essen, viel schwimmen, in Hängematten faulenzen und warme Abende mit Sonnenuntergang genießen.

Danach ging es weiter ins Landesinnere. Wir waren eingeladen – von Sokkheng, einer Kollegin aus Phnom Penh. Ihr Heimatdorf liegt in der Provinz Kampong Cham – sehr klein, umgeben von Natur. Das Leben dort ist einfach und naturverbunden: Viele Familien leben als Selbstversorger, bauen Reis an, halten Tiere. Es gibt keine asphaltierten Straßen, nur rote Erdwege zwischen Palmen und Holzhäusern. Strom und Wasser sind nicht selbstverständlich, das Mobilfunknetz oft schwach. Doch es gibt eine große Ruhe, Herzlichkeit und Gemeinschaft. Alles wird geteilt – das Essen, der Alltag, das Leben. Gerade diese Einfachheit hat mich tief beeindruckt. Schon am ersten Abend: eine Hochzeit! Ein Freund von Sokkheng heiratete – und gefühlt war das ganze Dorf eingeladen. Es klingt vielleicht seltsam: einfach auf eine Hochzeit zu gehen, bei der man das Brautpaar nicht kennt. Aber genau das zeigt die Offenheit der Khmer. Wir wurden herzlich empfangen, haben mitgegessen, mitgetanzt und einen unvergesslichen Abend erlebt. Am nächsten Morgen begann das Khmer New Year offiziell – mit einem buddhistischen Ritual bei Sokkhengs Familie. Ein Mönch kam ins Haus, segnete die Familie, das Grundstück und die Ahnen-Stupa. Im Anschluss wurde gemeinsam gegessen, gelacht und das Leben gefeiert. Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg in die nächstgrößere Provinzstadt: Kampong Cham. Dort erwartete uns das komplette Gegenteil – das pure Khmer New Year in seiner ausgelassensten Form: eine riesige Wasserschlacht auf den Straßen, laute Musik, bunte Kleidung und Wasserpistolen. Und mittendrin wir – klatschnass, lachend, tanzend. Es war ein riesiger Spaß, mit neuen Menschen ins Gespräch zu kommen, Khmer zu sprechen, Teil zu sein. Die Überraschung und Freude der Menschen, wenn man sich in ihrer Sprache unterhält und echtes Interesse an ihrer Kultur zeigt, war einfach ansteckend. Besonders gut hat mir gefallen, dass Kampong Cham kaum touristisch geprägt ist. Man feiert dort Khmer New Year nicht für die Kameras, sondern für sich selbst – traditionell, lebendig und mit spürbarer Herzlichkeit. In den beiden folgenden Tagen des Festes waren wir dann noch in Siem Reap. Auch dort wurde gefeiert – laut, bunt, ausgelassen. Wir haben einige andere Freiwillige der Don Bosco Schulen Kambodschas getroffen – das war richtig schön. Im Vergleich zu den Feierlichkeiten in Kampong Cham war der Unterschied aber spürbar: Anders als in Kampong Cham war das Khmer New Year in Siem Reap deutlich touristischer – die Dekorationen aufwendiger, das Feiern etwas mehr inszeniert. Es war weniger traditionell, dafür aber ebenso ausgelassen. Anders – aber nicht weniger schön. Nach einem letzten Stopp in Battambang, reiste Jenny mit mir nach Poipet – an meine Einsatzstelle. Dort hat sie zwei Tage lang meinen Alltag kennengelernt. Es war schön, jemanden dabeizuhaben, dem man all die kleinen Dinge zeigen kann, die den eigenen Alltag ausmachen – vor allem, wenn man sonst in so verschiedenen Teilen des Landes lebt.

Während des Urlaubs wurde mir noch einmal besonders bewusst, wie wohl und sicher ich mich meinem Gastland Kambodscha fühle. In den vergangenen Monaten bin ich sehr selbstständig geworden – ich kann problemlos reisen, weiß, wie ich mich zurechtfinde, und traue mich jederzeit, Menschen um Hilfe zu bitten. Ich genieße das Land und seine Kultur in vollen Zügen. Was mir besonders ans Herz gewachsen ist, sind die vielen kleinen, oft ganz beiläufigen Gespräche – sei es auf dem Markt, mit einem Tuktukfahrer oder einfach zwischendurch bei einem frischen Mango-Shake am Straßenrand. Diese Momente voller Offenheit und Wärme sind es, die meinen Alltag hier prägen. Ich spüre, wie tief ich inzwischen mit dem Leben in Kambodscha verbunden bin – nicht als Gast, sondern als Teil davon.

Zurück aus dem Urlaub habe ich meinen Alltag hier fast noch intensiver gespürt – mit einem wachen Herzen für all das, was ihn so besonders macht. Die vertrauten Abläufe, die Gesichter, das Kinderlachen: all das fühlt sich inzwischen so sehr nach Zuhause an. Die kleinen Dinge, die früher vielleicht noch neu oder herausfordernd waren, sind inzwischen zu wertvollen Routinen geworden. Das Lachen der Kinder, das gemeinsame Sportmachen, das spielerische Lernen oder spontane Gespräche in den Pausen – all das erfüllt mich zutiefst. Es sind gerade diese ganz normalen Tage, die mir zeigen, wie viel dieses Freiwillige Internationale Jahr mir bedeutet. Ich hätte mir kein besseres Projekt, keine schönere Umgebung und keine intensivere Erfahrung wünschen können. Es ist genau das, was ich mir erhofft hatte – vielleicht sogar mehr. Jetzt, da ich auf die letzten beiden Monate meines Dienstes blicke, spüre ich große Dankbarkeit. Ich will jede einzelne Woche, jeden Moment noch bewusster erleben und genießen. Denn so sehr ich mich auch auf alles freue, was danach kommt – hier bin ich gerade ganz genau am richtigen Ort.

 

Zum Ende dieses Blogeintrags möchte ich mich gerne noch bei allen bedanken, die meinen Blog so regelmäßig lesen, mitfiebern, nachfragen und mitdenken. Es bedeutet mir unglaublich viel zu wissen, dass ihr da seid und mich auf dieser Reise begleitet. Eure Rückmeldungen, euer Interesse und eure Nachrichten machen das Schreiben für mich noch viel wertvoller. Danke, dass ihr ein Stück Kambodscha mit mir gemeinsam erlebt.

Bis ganz bald!

Eure Ida