Feste & Fahrten

Beginnen möchte ich mit zwei „Fun-Facts“ über Medellin:

  1. Viele Stadtteile haben hier sehr schöne Namen. Zwei der angrenzenden Viertel heißen beispielsweise „Bello Horizonte“ (schöner Horizont) und „El Diamanten“ (der Diamant). Ansonsten sind viele Stadtteile nach berühmten Großstädten benannt, wie beispielsweise Palermo oder Buenos Aires. Das sorgte anfangs nicht selten für Verwirrung, als mir Leute erzählten woher (bzw. aus welchen Stadtteilen) sie kommen.
  2. Mit Unternehmen oder Läden wird generell über WhatsApp kommuniziert. So bestellt man Essen oder Lebensmittel bei den Supermärkten oder schreibt direkt einen Kleiderladen an, ob das Oberteil in Größe S morgen zum Abholen bereit ist. Super unkompliziert und schnell.

Der Oktober brachte neben viel Regen vor allem Halloween-Stimmung mit sich. Die Läden waren voll mit Kostümen, Spinnen aus Plastik und Kürbissen. Viele hatten sogar schon Weihnachtsdekoration. Manchmal erinnern mich diese Läden an die Supermärkte der USA wie beispielsweise „Target“, die optisch eher an Lagerhallen erinnern und von Babynahrung bis zu Werkzeug alles haben. Auch viele geschmückte Busse mit Spinnennetzen im Fahrerhäuschen begegneten mir morgens.

Geschmücktes Fahrerhäuschen

Neben dem Bus bin ich in letzter Zeit auch viel Taxi gefahren, da ich oft abends noch im Projekt war. In den Taxis traf ich auf sehr gesprächsfreudige und interessierte Taxifahrer, mit denen ich in der 30 oder 40 minütigen Fahrt während der Rushhour gut ins Gespräch kam. Viele fragten mich wieso ich nur zwei Vornamen habe, ob meine Eltern mich vermissen, wie mir das Essen schmeckt (mit der Anschlussfrage, was ich überhaupt esse, als ich sagte, dass ich Vegetarierin bin) und was ich hier eigentlich mache.

Die Kurzbeschreibung meiner Arbeit lenkte die Gespräche in eine ernstere Richtung. Einer der Taxifahrer erzählte mir, dass die Gewalt immer noch sehr präsent ist und der von der Regierung betonten Wandel in Wahrheit nicht stattgefunden hat; er selbst zahle Schutzgeld. Ein anderer erklärte, dass das Viertel, wodurch wir gerade fuhren, von einer Gang kontrolliert werde und hier deshalb auch keine Polizei mehr patrouilliere. Wir fuhren ein Stück in Stille weiter, dann über eine Kreuzung und er sagte “das hier war die Grenze, dieser Teil gehört einer anderen Gang”. Ich schaute aus dem Fenster und mir wurde etwas mulmig. Wieder ein anderer erzählte, dass er eigentlich aus einem Dorf in der Nähe Medellins komme. Als die Guerillas dieses unter ihre Kontrolle brachten, musste er jedoch nach Venezuela fliehen. Die Lage dort war wirtschaftlich so miserabel, dass es eine zeitlang keine Eier oder Milch gab. Um Arbeit zu finden, kehrte er deshalb zurück nach Kolumbien. Heute sei sein Dorf sehr touristisch, vor allem Amerikaner und Europäer besuchen es, erzählte er mir am Schluss.

Mit dieser Realität und den politischen und sozialen Missständen der Stadt und des Landes werde ich auch immer wieder bei meiner Arbeit konfrontiert.

Vor meinem Freiwilligen-Jahr erlebte ich überspitzt zwei Reaktionen auf meine bevorstehende Zeit in Kolumbien. Die erste war “oh je, du gehst nach Medellin? Das ist doch die Stadt von Pablo Escobar mit den ganzen Kartellen und Drogenabhängigen. Ich hab “Narcos” auf Netflix geschaut, pass bloß auf dich auf”. Die zweite, welche oft von Leuten kam, die Medellin bereits besucht haben, war: “wow ich bin so neidisch. Die Stadt hat so einen Wandel hingelegt, sie ist so modern und sicher! Du musst unbedingt in die Comune 13, dann siehst du, von was ich rede.”

Mein aktueller Zwischenstand lautet, dass natürlich weder das eine noch das andere der Wahrheit entspricht. Dennoch bin ich mir jetzt schon sicher, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland ein viel zu schlechtes Bild von Kolumbien hat.

Inzwischen habe ich andere deutsche und österreichische Freiwillige kennengelernt, die für DonBosco arbeiten. Schnell ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen waren. Oft erzählten sie “ah, die machen das hier ja oft so und so.” und ich dachte nur “nee, die machen das hier immer so und so!”. Das zeigt mir wieder, dass jede/r Freiwille ganz eigene Erfahrungen mit Land, Leuten und Projekt macht, ich aber immer nur ausschließlich über meine Erfahrungen schreiben kann. Gut möglich, dass andere Freiwillige meinen Blog lesen und dabei denken: „das stimmt doch gar nicht!”

Mit den Freiwilligen war es schön einfach nur Touristin sein zu können, ein bisschen Gondel zu fahren, Museen zu besuchen und deutsch zu sprechen. Auch konnte ich ihr Projekt kennenlernen, was ebenfalls sehr spannend war.

Eine meiner Arbeitskolleginnen lud mich zudem zu einen Ausflug mit ihren Freundinnen in die Berge Antioquiens ein. Es ging los mit 3h Autofahrt, 1,5h davon zu siebt in einem Kleinwagen, dann weitere 2h Wanderung auf rot-braunen, schlammigen Wegen, die immer wieder an Wasserfällen vorbei führten. Angekommen gab es Mittagessen in einem traditionelles Restaurant, was auch gleichzeitig das einzigste weit und breit war und dann gingen wir baden in dem wohl klarsten Fluss Kolumbiens, dem Rio Melcocho. Alles in allem ein traumhafter Tag, der mir auch zeigte, wie unterschiedlich das Leben der Menschen, mit nur 3h Fahrt Entfernung, aussehen kann. Hier waren Pferde und Esel das Haupttransportmittel und nicht Metro oder Autobusse. Auf der Rückfahrt merkte ich wie gut mir ein Tag in der Natur tat, aber freute mich schon wieder auf die hellen Lichter Medellins.

In meinem Projekt gab es zuletzt auch ein Highlight für mich: das Fest für den Circulo de Projeccion. An dem Tag wurden alle Frauen des Circulos mit ihren Kindern und Freundinnen in das Projekthaus eingeladen. Wir hatten Cocktails und Snacks vorbereitet, zudem waren 2 Nageldesignerinnen und Masseurinnen gekommen, sodass die Frauen einen Tag Auszeit von ihrem stressigen Alltag hatten. Ich war für die Vorbereitung und spätere Kinderbetreuung zuständig, was sehr lustig war, aber mich auf jeden Fall herausforderte. Am Abend gab es dann ein großes Essen, und wir ließen den Tag mit Sangria und Karaoke ausklingen. Ein total gelungener Tag, der bestimmt auch ein Highlight für die Frauen war.

Die zweite große Aktion war die Halloween Party des Projekts mit dem Thema Burlesque. Samstag Abend, nach einer Gruppen-Stunde mit den Mädels, half ich beim Umgestalten des Hauses. Dafür hingen wir rote Rosen, rote Masken und schwarz Glitzer Hüte an die Decke. Auch eine kleine Bühne bauten wir auf und befestigten im ganzen Raum Lichterketten. Als ich am frühen Abend wieder kam, waren die Köchinnen und Mädels hinter der Bar bereits da und die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren und wir machten uns alle zusammen fertig. Nach ein paar Komplikationen mit der Musik wurde viel geredet, getanzt und gelacht. Später am Abend traten zudem drei Burlesque-Tänzerinnen auf, die uns wirklich eine atemberaubende Show baten. Wer den Film “Burlesque” gesehen hat, kann sich wahrscheinlich vorstellen, was ich meine. Danach nahmen die anderen Freiwilligen mich noch mit auf eine andere Party ihrer Freunde. Diese war in einem sehr hoch gelegen Viertel, was uns eine traumhafte Aussicht auf die unter uns liegende, leuchtende Stadt bot.

Vorbereitungen Halloween-Party

Mit diesem Fest endete mein Oktober und jetzt auch mein Blogeintrag.

Ich hoffe, ihr hattet Freude beim Lesen und wir sehen uns in einem Monat wieder.

Hasta pronto!

Nika