Angekommen?

Und so hört man sich wieder. 112 Tage sind seit Beginn meines Freiwilligen Internationalen Jahres vergangen. Das sind 15 Wochen, also mehr als drei Monate. Kurz gesagt: Mehr als ein Viertel meines Freiwilligendienstes in Kambodscha ist schon vorbei.

Wie ihr vielleicht wisst, habe ich in meinem letzten Blogartikel erzählt, dass an der „Don Bosco Academic and Technical Highschool“ in Poipet die Ferien begonnen hatten und ich die ersten eineinhalb Wochen bei meiner Kollegin Sophy gelebt habe. Nun möchte ich ein wenig von der daran anschließenden Zeit erzählen, bei der es mich zur „Don Bosco Technical Highschool“ in Phnom Penh verschlagen hat. Hier hatte ich zu Beginn meines Aufenthalts die Aufgabe, mich um zwei französische Freiwillige zu kümmern, die gerade erst in Kambodscha angekommen waren. Neben den organisatorischen Dingen, wie dem Kauf neuer SIM-Karten oder der Registrierung bei der französischen Botschaft, durften auch die kulturellen Eindrücke in ihrer Eingewöhnungszeit nicht fehlen, weshalb wir viel unterwegs waren in der belebten Hauptstadt Kambodschas. Während Bérénice und Albane das für sie noch komplett neue Land etwas besser kennengelernt haben, musste ich viel an meine Ankunft Anfang August denken. An die vielen neuen Eindrücke von Land, Kultur und Menschen. Die ersten Tage und Wochen, die geprägt waren von einer Mischung aus Aufregung, Unsicherheit und dieser unaufhörlichen Neugier für das Unbekannte. Natürlich erlebe ich nach drei Monaten immer noch regelmäßig Neues, aber mir fällt auch auf, wie Vieles für mich schon zu Normalität und Alltag geworden ist. Oftmals sind das kleine, alltägliche Sachen, wie das Fahren mit dem Tuk Tuk, der Umgang mit den beiden Währungen Khmer-Riel und US-Dollar oder der Sprache Khmer. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich anfangs beim Fahren mit den öffentlichen Verkehrmitteln dauerhaft Google-Maps geöffnet hatte, aus Angst, am falschen Ort zu landen, oder wie maßlos überfordert ich war, wenn ich irgendwo bezahlen sollte. Nicht zu vergessen die große Herausforderung der neuen Sprache: Neben einem schlichten „Hallo“ war an Wortschatz kaum etwas zu bieten… Nach drei Monaten hier in Kambodscha kann ich mich natürlich noch lange nicht als Expertin bezeichnen, aber dennoch merke ich, dass ich sehr viel selbstständiger geworden bin, an anfänglichen Unsicherheiten verloren habe und mich nicht mehr als „Fremde“ in einem neuen Land fühle.

Ein richtiges Highlight der letzten Wochen war, dass meine Mitfreiwillige Jenny und ich uns wiedergesehen haben, denn auch sie kam für einige Tage nach Phnom Penh. Gemeinsam mit Bérénice und Albane haben wir vier das Team des „Children’s Fund’s“ bei ihren jährlichen Hausbesuchen begleiten dürfen. Zur Erklärung: Die Aufgabe des „Children’s Fund’s“ ist es, Kinder in Kambodscha zu fördern, die in extremen Armutsverhältnissen leben, ausgegrenzt oder vernachlässigt werden. In Kambodscha müssen viele Kinder, aufgrund finanzieller Not der Eltern, arbeiten und erhalten somit keinen Zugang zu Bildung. Auch Unternährung und schwerwiegende Gesundheitsprobleme sind keine Seltenheit. Der „Children’s Fund“ unterstützt die Familien der Kinder und Jugendlichen finanziell und ermöglicht es ihnen, eine Schule zu besuchen. Jährlich werden die Familien besucht, um zu sehen, ob die Rechte der Kinder und Jugendlichen geachtet werden und welche Familien zukünftig als Teil des finanziellen Unterstützungsprogramms in Frage kommen. Ich habe diese Besuche als sehr interessant empfunden und einzigartige Einblicke in das Leben vieler Kambodschaner:innen bekommen. Durch Gespräche mit den einheimischen Menschen (ich war ganz stolz, dass es mit dem Khmer funktioniert hat) konnte ich ganz viel lernen über mir fremde Lebensweisen und Traditionen. Super fand ich auch, dass diese sog. „Housevisits“ im ganzen Land stattgefunden haben und ich somit die Möglichkeit hatte, Teile meines Gastlandes zu sehen, die ich als Touristin womöglich nie besucht hätte. Die eher untouristischen Provinzen Kambodschas offenbarten uns aber doch viele verborgene Schönheiten. Atemberaubende Naturabschnitte, in denen Menschen im Einklang mit der Natur leben, prägen große Teile des Landes. Wo man auch hinsieht, sieht man Mönche, die mit Hingabe den friedlichen buddhistischen Glauben praktizieren, und nicht zu vergessen die vielen Pagoden, die als „künstlerische Meisterwerke“ beschrieben werden können. Schwimmende Dörfer auf dem Tonle Sap-See, Reisfelder, wo das Auge hinreicht, und überall finden sich kleine Straßenstände mit asiatischen Spezialitäten. Die „Housevisits“ haben uns wirklich ein einzigartig schönes Rendezvous mit Kambodscha ermöglicht…

Ein verlängertes Wochende verbrachten Jenny, Bérénice, Albane und ich, begleitet von den beiden Leherinnen Sokkheng und Putchima, in Siem Reap. Siem Reap, eine Stadt im Nordwesten Kambodschas, ist Ausgangsort zum Besuch der Tempelanlage von Angkor. Mit seinem bekanntesten Bauwerk Angkor Wat, umfasst die Tempelanlage die größte Ansammlung von sakralen Bauwerken auf der ganzen Welt und ist seit 1992 sogar UNESCO-Weltkulturerbe. Die einzigartige Architektur der Tempel inmitten des Urwaldes hat uns, während unseres Aufenthalts, nicht nur einmal zum Staunen gebracht – eher blieb unser Mund mehr offen stehen, als dass er geschlossen war. Besonders Glück hatten wir mit Rotha, dem wohl besten Tuk Tuk-Fahrer der Welt, der uns jeden Morgen abgeholt und durch die Tempelanlage kutschiert hat. Neben den touristischen „Must-Dos“ hat uns der quirlig gut gelaunte Mann auch zu verborgeneren, aber nicht weniger sehenswerten, Tempeln gebracht und uns mit seinem Wissen über sie bereichert. Doch auch in Siem Reap selbst ist vieles geboten: quirlige Märkte mit exotischen Spezialitäten und handgefertigten Waren, sowie die berühmte „Pub Street“, die bei Nacht das Zentrum des Geschehens in Siem Reap ist, geben der Stadt eine wunderbar belebte Atmosphäre. Wir sechs hatten wirklich eine tolle Zeit dort!

Ende Oktober ging es für mich dann wieder zurück nach Poipet zur „Don Bosco Academic and Technical Highschool“. Niemals hätte ich gedacht, dass ich nach den gerademal drei Monaten meines Freiwilligendienstes das Gefühl von „Heimkommen“ versprüre, wenn ich zurück auf den Schulcampus komme. Doch genauso war es: Nachdem ich durch das große Eingangstor gekommen bin, hat sich alles vertraut angefühlt. Es war wie ein Moment der Ruhe, der mir gezeigt hat: Ida, du bist angekommen. Ja, dieses Gefühl, nicht nur physisch in meinem Gastland zu sein, hatte ich vor diesem Moment nicht. Dieses „Angekommen sein“ bedeutet für mich nämlich nicht nur, sich an einen neuen Ort zu gewöhnen. Es geht auch darum, sich als Teil einer neuen Gemeinschaft zu fühlen, Verantwortung zu übernehmen und seine Rolle zu finden. Besonders in diesem Freiwilligendienst, in dem das „Miteinander“ im Vordergrund steht, war das Gefühl vom mentalen Ankommen unbeschreiblich schön und hat mir meine persönliche Entwicklung hier nochmal vor Augen geführt. Auch mit dem Beginn des neuen Schuljahrs, dem Unterrichten und natürlich der Zeit, die ich mit den Schüler:innen verbringe, wurde mir wirklich bewusst, dass ich hier im Projekt meinen Platz gefunden habe, und das macht mich mehr als glücklich.

Nach den Ferien ist der Alltag hier in Poipet wieder voll im Gange. Ich habe wieder einiges zu tun, jedoch ist jeder Tag gefüllt mit so vielen schönen Momenten. Es ist eine Freude, mit den Kindern zu arbeiten und zu sehen, wie sie täglich neue Dinge lernen und auch in ihrer freien Zeit aufblühen. Besonders der Austausch mit den Menschen hier, das Erleben der kambodschanischen Kultur und das Gefühl, im Projekt meine Rolle gefunden zu haben, machen diese Zeit für mich so wertvoll.

Mit diesen Worten vom anderen Ende der Welt verabschiede ich mich und freue mich schon, bald die nächste Geschichte erzählen zu können. Danke, dass ihr bis hierher gelesen habt, und ich hoffe, ihr bleibt dabei – es gibt noch viele spannende Erlebnisse, die ich mit euch teilen möchte.

Bis bald! Eure Ida