Wenn die Toten zu Besuch kommen

Es ist wohl eines der bekanntesten und faszinierendsten Feste Mexikos: El día de Muertos – Der Tag der Toten. Wenn die Mexikaner die Verstorbenen mit offenen Armen empfangen wird besonders deutlich, dass sie wahre Künstler des Erinnerns sind. Da mir das Fest so imponiert hat, würde ich euch gerne in diesem Blog einen Einblick in meine Erlebnisse rund um den Día de Muertos geben – die Zeit, in der die Toten zu Besuch kommen.

 

 

Spätestens nachdem der Disney-Film „Coco“ erschienen ist, haben wohl die meisten eine Vorstellung des Totenfests. Doch woher genau kommt diese Tradition eigentlich? Der Ursprung liegt wohl in präkolumbischen Kulturen, die den Tod nicht als Ende des Lebens sahen, sondern vielmehr als Übergang in eine andere Daseins-Form. Die Azteken feierten das Fest wochenlang, bis es durch die Kolonialisierung mit dem christlichen Allerseelen vermischt wurde. So wurde das Fest auf die wenigen Tage zwischen Allerheiligen und Allerseelen verkürzt, eigentlich sogar nur auf einen Tag, den 2. November. Trotzdem halten die Mexikaner an ihrem Glauben fest, dass einmal jährlich ihre verstorbenen Angehörigen aus dem Jenseits zu Besuch kommen und das Wiedersehen mit der Familie feiern; jedoch nur, wenn ein Foto von ihnen auf dem Totenaltar steht.

Bereits Wochen vor dem eigentlichen Feiertag waren wir bereits fleißig dabei Blumen und weitere Dekoration für das Schulfest zu basteln. Die Kinder brachten Fotos ihrer verstorbenen Angehörigen mit, um sie auf den Totenaltar zu stellen. Die Ofrendas (Totenaltäre) sind Altäre die zu Ehren der Toten errichtet werden, geschmückt mit beispielsweise den Cempasúchil-Blumen oder dem Pan de Muerto. Die Cempasúchil-Blume soll aufgrund ihrer leuchtend orangenen Farbe den Weg erleuchten und das pan de muerto (Totenbrot) als Opfergabe dienen.

 

Totenaltar der Schule

 

Etwas, dass mich wirklich traurig gemacht hat, war, dass einige Kinder Bilder ihrer Eltern für den Totenaltar mitgebracht hatten – aber auch ihrer Groß- und Urgroßeltern. Die erste Reaktion ist dann meist Mitleid oder Trauer, doch hier ist es wohl eher Schock. Denn leider gibt es hier viele Fälle, bei denen die Angehörigen beispielsweise durch den fehlenden Zugang zum Gesundheitssystem ihrer Krankheit erlangen oder Fälle, bei denen die Angehörigen durch Gewalt starben – in einem Fall sogar durch Femizid. Die Kinder wissen oft nicht die wirklichen Gründe, was die Situation noch schwieriger macht.

Trotz der schwierigen Umstände, die viele dieser Kinder erleben, wird der Día de Muertos nicht nur als ein Tag der Trauer, sondern auch als ein Fest des Lebens und des Gedenkens gefeiert. Es ist eine Zeit, in der die Erinnerung an die Verstorbenen mit Freude und bunten Zeremonien lebendig gehalten wird. Eine Zeit, in der die Lebenden und die Toten auf eine besondere Weise miteinander verbunden sind. Die Kinder kamen als Tote geschminkt in die Schule und es war wirklich ein super buntes und fröhliches Fest. Die Klassen hatten verschiedene Tänze oder Theaterstücke eingeübt und aufgeführt – mit der ersten Klasse präsentierten wir einen Tanz zu dem Lied „Vamos a morir“. Das Lied erzählt glücklich klingend davon, dass wir alle sterben werden – im Prinzip genau die Ironie des Festes.
Wirklich schön war auch die Vorführung der fünften Klasse, welche „La Llorona“ auf Spanisch und Náhuatl – eine Sprache der indigenen Völker – gesungen hat. „La Llorona“ (die Weinende) ist eine berühmte Gestalt der mexikanischen Folklore, die als Geist einer weinenden Frau bekannt ist. Der Legende nach handelt es sich bei La Llorona um eine Frau, die ihre Kinder in einem Anfall von Verzweiflung oder Wut ertränkte und nun, voller Reue und Trauer, in den Nächten weinend nach ihnen sucht. Sie trägt ein langes weißes Kleid, was Unschuld und Reinheit symbolisiert – ganz im Gegensatz zu ihrer Tat. Es lässt sie als tragische, geisterhafte Figur erscheinen, die zwischen Leben und Tod gefangen ist.

 

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Nach der Schule bin ich nach Tlaquepaque gefahren – einem Nebenort von Guadalajara, wo es zu dieser Zeit am schönsten dekoriert sein soll. Und das hat sich auf jeden Fall bewahrheitet; die Hauptstraßen waren von oben bis unten mit Altären, Blumen und Kunst geschmückt. Einer der größten Totenaltäre der Welt wurde hier aufgebaut und an jeder Ecke sah man die sogenannten Catrinas – diese Skelett-Frauen stehen symbolisch für den Tag. Eigentlich steht Catrina im Spanischen für eine wohlhabende oder reiche Person, allerdings mit abwertendem und sarkastischem Unterton. Deswegen sind die Catrinas meistens sehr elegant gekleidet und geschminkt. Die Figur wurde erstmals von dem mexikanischen Karikaturisten José Guadalupe Posada gezeichnet und galt ursprünglich als Kritik an den verschiedenen sozialen Klassen. Durch Diego Rivera – der Lebensgefährte Frida Kahlos und einer der bekanntesten Künstler Mexikos – wurden die Catrinas populär und man sieht sie heutzutage wirklich überall.

 

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Genau zwei Wochen später hatte ich die Gelegenheit, gemeinsam mit der Direktorin der Grundschule und meiner Mentorin die Calaverandia zu besuchen – einen Themenpark, der ganz im Zeichen des Día de Muertos steht. Und obwohl die eigentliche Festzeit nun schon vorbei war, war der Park mit einer meiner beeindruckendsten Erlebnisse. Der Park bot eine unglaubliche Vielfalt an Programmpunkten: Von Projektionen auf Wasser über Konzerte bis hin zu Akrobatik – alles abgestimmt auf den Día de Muertos. Wirklich beschreiben kann ich das gar nicht, also macht euch daher am besten selbst ein Bild – mit den Fotos, die ich vor Ort gemacht habe.

 

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Zum Abschluss lässt sich sagen, dass der Día de Muertos voller Farben und Freude steckt. Er zeigt, wie die Menschen hier den Tod als Teil des Lebens betrachten und das Gedenken an ihre Verstorbenen mit so viel Freude und Gemeinschaft gestalten. Für mich war es eine besonderes Erlebnis, das mir gezeigt hat, dass Erinnern nicht nur traurig sein muss.

PS: Wer meine Erfahrung hier nachempfinden möchte, dem empfehle ich die folgenden Lieder „La Llorona“ und „Vamos a morir“ und natürlich den Film „Coco“.