Ankunft in einem fremden Land

Raus aus dem Flieger, Kleidung wechseln – es ist viel zu heiß für Jogginghose und Pulli. Fast verzweifeln an der Passkontrolle: Die Einreiseformalitäten regelt man hier ganz modern digital per E-Ticket. Blöd nur, dass ich das vorher nicht erledigt habe – und jetzt streikt auch noch mein Handy.

Raus aus dem Flughafen, rein in die Hitze… WILLKOMMEN IN DER DOMINIKANISCHEN REPUBLIK!

Meine Ankunft liegt inzwischen zwei Monate zurück, und doch sehe ich alles noch klar vor mir. Der Flug hatte 50 Minuten Verspätung, meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt: Was denkt wohl meine Chefin, die am Flughafen auf mich wartet?

Wie wird es wohl an meinem Zielort sein – die Menschen, die Unterkunft, das Kollegium, mein Alltag?

 

Schon der Weg vom Flughafen zu meinem neuen Zuhause für dieses Jahr ist aufregend: Überall motos (Motorräder), die sich durch den Feierabendverkehr schlängeln (Verkehrsstau = tapón, das erste neue Wort, das ich hier lerne). Am Straßenrand bunte Häuser, Straßenverkäufer, die mit Obst an den Autos vorbeigehen – und zwischendurch immer wieder ein Blick aufs Meer.

Ich bin unglaublich erleichtert, dass ich mich dank meines zehnmonatigen Aufenthalts in Spanien relativ gut verständigen kann.

Zuhause angekommen, werde ich von Nana, der Haushilfe von Jacinta – der Gründerin und Leiterin der Kleinen Schule Sonnenstrahl – herzlich begrüßt. Jacinta lädt mich zum Abendbrot ein, danach falle ich todmüde ins Bett.

Ich wohne im Anbau ihres Hauses, habe dort meinen eigenen Bereich (Zimmer, Bad und Küchenzeile) und verpflege mich nach den ersten Wochen selbst. Die Räume gehören zu den Bereichen, die Jacinta großzügig der Stiftung zur Verfügung stellt.

Die ersten Tage verbringe ich damit anzukommen und meinen Körper an Klima und Zeitumstellung zu gewöhnen.

Am Montag, dem 8. September 2025, ist dann mein erster Arbeitstag – wie aufregend schön! Wir werden zu dritt herzlich willkommen geheißen und gefeiert.

Gemeinsam mit mir kommt auch Christel zurück, die über die Sommerpause in Deutschland war, um mit dem Förderverein Jacíntas Kinder e.V. (www.jacintaskinder.de) eine Spendenaktion zu organisieren.

Und außerdem – ein weiterer Grund zum Feiern – hatte Jacinta am Samstag, den 6. September, Geburtstag.

Aber dazu mehr in einem späteren Beitrag.

 

 

 

Inzwischen habe ich mich gut eingelebt.

Morgens aufstehen, frühstücken, abwaschen – dann geht’s um 7:00 Uhr los: Juan Carlos, einer der beiden Chauffeure, holt mich ab. Um 7:55 Uhr wird die Nationalhymne gesungen, ab 8:00 Uhr starten die Klassen – manchmal nach einer kurzen Einheit zum Thema des Monats oder Tages. Für mich geht es dann in die Werkstatt.

Zur Mitte des Vormittags oder Nachmittags gibt es die sogenannte Merienda – die Essenspause der Schüler. Es gibt z. B. Reis, Kekse mit Saft oder Milch. Christel, meine Mentorin erklärte mir, dass diese Mahlzeit für viele Kinder die einzige wirklich nahrhafte des ganzen Tages ist.

Die Escuelita Rayo de Sol I im Stadtteil Ensanche Luperón (Santo Domingo) ist eine halböffentliche Förderschule, die – wie viele Schulen im Land – im Schichtsystem arbeitet: vormittags die Jüngeren, nachmittags die Älteren.

Hier lernen derzeit rund 210 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Alter von etwa 4 bis 25 Jahren – mitten in einem ärmeren Stadtviertel der Hauptstadt, das an die großen Elendsviertel grenzt, aus denen viele unserer Schüler*innen kommen. Eine weitere Schule der Fundación Escuelita Rayo de Sol befindet sich in Villa Altagracia, etwa 40 Kilometer entfernt und betreut derzeit rund 105 Kinder.

Ich arbeite in der Werkstatt mit. Dort stellen Jugendliche und Schüler*innen Kunsthandwerke aus recyceltem Zeitungspapier her – Körbe, Türschmuck (Coronas; Kränze die man gut aufhängen kann) und mehr, die vornehmlich an Paten, Spender und Förderer verschenkt werden. Manchmal werden die Stücke auch auf Märkten verkauft.

Ich helfe, wo ich kann: aktuell klebe ich viele dieser Blumen zusammen oder Rolle Centros (Zentren) für diese (siehe Bilder).

 

Von 12 bis 14 Uhr habe ich Mittagspause. In dieser Zeit esse ich, unterhalte mich mit meinen Kollegen, lese, schlafe kurz oder telefoniere mit Freunden in Deutschland – durch den Zeitunterschied passt das perfekt.

Am Nachmittag läuft alles ähnlich ab: Werkstatt, Merienda, Nationalhymne um 17:25 Uhr – dann holt mich einer der Chauffeure (meist Jhonny oder Juan Carlos) ab.

Manchmal lasse ich mich noch an einem Supermarkt absetzen und fahre später mit dem Uber nach Hause. Den öffentlichen Transport darf ich aus Sicherheitsgründen nicht nutzen.

Zuhause angekommen heißt es: Abendbrot, duschen, schlafen – mit Ventilator an!

Ich habe das einmal vergessen… und einmal gab es Stromausfall. Beides keine erholsamen Nächte!

 

Nur eine Banane…

Bis auf die Momente in denen Tropenstürme oder andere Klimkatastrophen ihr Unwesen treiben, bin ich jeden Tag dankbar, hier zu sein. Es gibt viele Momente, die mich tief berühren und zum Nachdenken bringen – und auch solche Erlebnisse möchte ich in diesem Blog mit euch teilen.

 

Einer dieser Momente ereignete sich während der Merienda bei den Jüngeren. An diesem Tag gab es Guineo (Banane). Jedes Kind bekam drei Stück.

Ich hörte, wie ein etwa achtjähriges Mädchen zu einem anderen sagte: „Ich nehme zwei mit nach Hause, damit meine Mama auch mal Guineo essen kann“

Dieser Satz hat mich tief getroffen. Zum einen machte er mich traurig – weil mitschwang, dass sich die Familie keine Bananen leisten kann. Und das, obwohl sie im Supermarkt umgerechnet nur etwa acht Cent pro Stück kosten.

Aber in der Konkurrenz zu anderen Grundnahrungsmitteln kaufen sich die meisten Familien lieber Reis als Obst.

Natürlich wusste ich theoretisch, dass Armut hier allgegenwärtig ist. Wir hatten im Vorfeld in den Vorbereitungsseminaren darüber gesprochen, und man hört es immer wieder.

Aber über Armut zu reden und sie zu erleben, das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

Man neigt dazu, es zu relativieren: „Eine Banane macht doch keinen Unterschied.“

Und doch – für dieses Mädchen macht sie den Unterschied.

Gleichzeitig war ich beeindruckt, wie bewusst dem Kind die Lage ihrer Familie war – und bewegt von der Freude, ihrer Mutter etwas mitbringen zu können.

Ich wollte mir aber von den mitschwingenden Gefühlen nichts anmerken lassen und  das Kind in dieser Freude nicht bremsen. Für sie war es ein schöner Moment: Sie konnte ihrer Mama eine kleine, aber bedeutungsvolle Freude machen – und das zählt.

Diese kleine Szene hat mir gezeigt, wie begrenzt mein Verständnis von Armut bisher war und unter anderem zu einem sehr interessanten Gespräch mit meiner Mentorin geführt.

Es ist etwas völlig anderes, einem Kind gegenüberzustehen, das sich über „nur“ eine Banane so sehr freut.

Ich werde das wohl nie ganz begreifen – aber solche Begegnungen verändern den Blick auf das Leben.

Sie erinnern mich daran, wie viel Glück es bedeutet, Dinge für selbstverständlich halten zu können – und wie groß die Freude sein kann, wenn man teilt, auch wenn man wenig hat.

Vielleicht liegt darin die grösste Lektion, die mir dieses Land bisher geschenkt hat.